Mittwoch, 31. August 2011

A NIECE'S WISH

Mir ist durch einen Informanten (dessen Identität ich nicht preisgebe) zu Ohren gekommen, dass eine meiner beiden Lieblingsnichten es für eine mittelschwere Eselei hält, dass ich leichtfertig auf einen Besuch des vancouverschen Aquariums verzichtet habe. Nun, einerseits denke ich zwar, dass Aquarien außer Fischen (die ich schon in anderen Aquarien gesehen habe) in Wasserbehältern (auch schon mal gesehen) nicht allzu viel an spannungsgeladenen Attraktionen bereithalten, andererseits bilde ich mir aber auch nicht ein, der Weisheit meiner (gar nicht mehr sooo) kleinen Nichte irgendetwas stichhaltiges entgegensetzen zu können und mache mich deshalb heute doch noch einmal auf in Richtung Stanley Park und zum Wasserzoo.

Ähnlich wie im Kölner Aquarium, gibt es auch in Vancouver, neben den diversen Bassins, ein kleines Insektarium - in diesem Fall bestehend aus einer einzigen begehbaren Voliere für Schmetterlinge, in der sich aber auch einige wenige Vögel befinden, die ein bisschen aussehen wie zu heiß gewaschene Flamingos. Zu meiner Schande muss ich eingestehen, dass ich keine Ahnung habe, wie die Art heißt. Außerdem gibt es hier irgendwo auch ein Exemplar einer völlig anderen Tierart, die man zu recht für eine evolutionäre Vorstufe meiner Wenigkeit halten könnte: das Faultier. 
Das Faultier ist allerdings zu viel faul sich fotografieren zu lassen und wer könnte wohl mehr Verständnis dafür aufbringen als ich. Ein wenig zu hart finde ich jedoch die englische Bezeichnung "Sloth" (Trägheit) für dieses Tier, unter der in der englischen Version des katholischen Katechismus die nämliche Todsünde aufgeführt ist. Ich muss mich wohl mit dem Gedanken trösten, dass sich das so bezeichnete Faultier sicherlich ebenso wenig um den Katechismus schert wie ich selbst. Wie dem auch sei, noch sind wir ja gar nicht beim Aquarium angekommen. 

So versiert/ verdammt gewieft/ unglaublich gerissen wie ich mittlerweile in Sachen Fuß- und sogar Schleichwegen bin, nehme ich natürlich den Bus. Spaziergänge hin, Fitness her, heute Morgen habe ich einfach noch keine Lust auf diese Art von Betätigung, nehme also den Bus von der East Pender Street nach Stanley Park, laufe die letzten paar Meter zu Fuß... und bin da - Punkt. Ich denke, nach all den vielen vorangegangenen, schier endlos langen und bestimmt nicht immer interessanten Wegbeschreibungen durch die Stadt ist das doch mal eine ganz nette Abwechslung.
Da bin ich also nun beim Aquarium und wahrhaftig gibt es hier:
a.) massenhaft Wasser und

b.) massenweise Fische
Schön dass es immer noch Konstanten im Leben gibt und das Wort Aquarium nicht mittlerweile z.B. "Haferflocken mit Zündkerzen" oder ähnliches bedeutet. 

Selbst wenn an mir ein schenialer Wissenschaftler verloren gegangen sein sollte (pfff, Unsinn!), so wäre dies gewiss kein Ichtyologe. Ich finde Fische einfach nicht so rasend aufregend - womit ich einmal mehr meine schreckliche Ignoranz offenbare - und Fische machen eben Aquarien aus. Quastenflosser, Architeuthis, Black-Smoker-Symbionten u.s.w. sind alle wirklich sehr spannende Themen, denen man sich in Aquarien aus rein technischen Gründen allerdings so gut wie gar nicht annähern kann und eigentlich ist das auch ganz in Ordnung so. Lebewesen zu Ausstellungsstücken zu machen betrachte ich mit gemischten Gefühlen. 
Wir alle kennen die Pro-Argumente: "Die Aufzucht bedrohter Tierarten in Gefangenschaft kann zu deren Arterhaltung beitragen. Sie der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen hilft dabei, Menschen für bedrohte Arten zu sensibilisieren."
Und natürlich kennen wir auch alle die Kontra-Argumente: "Gefangenschaft bedeutet, egal unter welchem vordergründigen Etikett man sie führt, immer nur Gefangenschaft. Häufig begnügt man sich auch nicht mit lebenslanger Haft zur Publikumsbelustigung, sondern lässt während dieser Haft auch noch Bedingungen zu, für die es keine andere Beschreibung als Folter gibt."

Tjanun, wie soll man seinen Kindern einen Tigerhai zeigen, wenn nicht in einem Aquarium? - oder einen Elefanten, wenn nicht in im Zoo? Sollten solcherlei Erfahrungen exklusiv denjenigen vorbehalten sein, die es sich leisten können, diese Lebewesen in ihrer natürlichen Umgebung aufzusuchen? Sollen wirklich die Tigerhaie und die Elefanten mit ihrer Freiheit dafür zahlen, dass ich evtl. nicht die Möglichkeit habe, sie in ihrer Heimat zu besuchen? Führt aber Tourismus, besonders in Massen, nicht unter Umständen erst zur Gefährdung einer Art? Der kniffligen Für und Widers gibt es viele und mich würde wirklich interessieren, wie die werten Nichten und Neffen wohl zu alldem stehen... 

Mein Hauptbedenken in der Angelegenheit Aquarium lautet: "Sind Fische blöd?" - und zwar so blöd, dass es ihnen völlig Wurscht ist in einem Gurkenglas zu leben. Wenn man sich bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage allein vom Aussehen vieler Kiemenatmer leiten lässt, kommt man recht schnell zu einer eindeutigen Meinung. Schaut man z.B. dem Burschen auf dem Bild rechts tief in die Glubschaugen, verfällt man doch eher nicht als erstes dem Gedanken, er sei gerade zu der Erkenntnis gelangt, dass die Hubblesche Konstante* eigentlich gar keine Konstante ist.
ääääääähm...
Nun haben wir ja schon als Kinder gelernt, dass man sich nicht durch Äußerlichkeiten täuschen lassen soll (was manchen Menschen sogar leidlich gelingt). Ich weiß natürlich nicht, ob und was der blöd aussehende Fisch wirklich im Moment der Aufnahme gedacht hat, möglich wäre aber doch z.B. auch dies: "Hubble?! Der kleine Popanz dürfte mir noch nicht mal den Staub vom Teleskop pusten." Unwahrscheinlich? Ja - aber nicht unmöglich.

Was mir nicht so recht behagt im vancouverschen Aquarium ist die Haltung verschiedener Arten von Meeressäugern, denen ich etwas mehr Intelligenz und auch ein paar mehr Emotionen zutraue. Zugegeben, das ist den Fischen gegenüber ziemlich ungerecht, denn letztlich kann ich auch den Delphinen nicht viel tiefer ins Gemüt schauen. Vielleicht fühle ich mich den Meeressäugern durch die engere Artverwandschaft verbundener, vielleicht ist es aber auch bloß, weil 'Flipper' mich als Kind beeinflusst hat. 
Neben einer kleinen Delphinart gibt es auch Seehunde, eine (nicht öffentliche) Seehundaufzuchtstation für gerettete Heuler und als Hauptattraktion (derzeit) vier Belugawale - zwei Kühe, ein weibliches Kalb** und einen Bullen (sofern der Name Phil nicht eine Abkürzung für Phyllis ist). Selbstverständlich sind es die unzähligen Kinder unter den Besuchern, die sich ganz besonders für den "kleinen" Wal aber auch für die Show der anderen drei begeistern, die von Tiertrainern alle paar Stunden durchgeführt wird. Allein, mein Unbehagen bleibt.

Angeschlossen an die Voliere, die ich eingangs erwähnte, ist ein tropisch klimatisiertes Gebäude mit Terrarien für Frösche aller Größen und Farben, Krokodilen und einem Käfig voller kleiner Fledermäuse, die zwar nicht viel mit Wassertieren, aber vermutlich mit der heimischen Fauna zu tun haben. 
Das gesamte Gelände soll in absehbarer Zukunft noch ausgebaut und um verschiedene Arten erweitert werden - u.a. Affen. Eine Flugshow mit heimischen Greifvögeln gibt es bereits und wir dürfen davon ausgehen, dass das Noch-Aquarium dereinst ein Zoo mit einer Vielzahl an Tierarten zu Wasser, zu Lande und in der Luft sein wird.

In der Zwischenzeit ist es Nachmittag geworden und bis auf die 3D-Filmvorführung und das öffentliche Science-Lab, das leider zur Zeit geschlossen ist, habe ich alles gesehen und verlasse das Aquarium in Richtung Mittagessen. 
Abschließend ist zu diesem Besuch noch zu sagen, dass ich wahrscheinlich Einrichtungen wie diese nicht mehr durch mein Eintrittsgeld unterstützen, sondern stattdessen lieber einen Betrag für marine Forschungszwecke spenden werde. Ich möchte nicht etwa den Eindruck entstehen lassen, ich wäre dort irgendwelcher spezieller Missstände gewahr geworden, oder die Betreiber des Aquariums würden ihren didaktischen Auftrag nicht ernst nehmen - es ist eben einmal so (wie schon hie und da angedeutet) dass mir diese Art der Haltung und Zurschaustellung nicht gefällt. Hoffentlich hat diese meine Sichtweise der lieben Nichte nicht den Spaß und die Neugierde an der Meeresbiologie verdorben - das wäre eine echter Jammer. 

Auf dem Weg zum Essen, ein paar hundert Meter entfernt in Stanley's Park Bar & Grill, entdecke ich durch Zufall eine Kleinigkeit, die ich dieser Nichte aus Vancouver mitbringen kann. Naja, so klein ist die Kleinigkeit eigentlich gar nicht... "Kleinigkeit" ist ja auch immer eine Frage der eigenen Größe. Ich grenze die Sache noch etwas ein: Es passt noch gerade so zu den anderen Sachen in meinen Seesack. Ob es damit wohl Probleme am Flughafen geben wird? Hm hm hmmm, wer kann das schon sagen....   

* H = v / d (Fluchtgeschwindigkeit einer Galaxis geteilt durch ihre Entfernung)
** an anonymen Informant: keines der Tiere heißt Julie. Das Kalb heißt Teeka 

Samstag, 27. August 2011

LET'S TAKE A SPIN

Zum ersten Mal seit ich hier bin, wünschte ich neben dem in mein Mobiltelefon integrierten Bilderknipser (ich weigere mich, in diesem Zusammenhang von einer Kamera zu sprechen), einen Fotoapparat zu haben, an dem man mehr betätigen kann als nur den Auslöser. Ein manueller Fokusstellring kann unter gewissen Umständen die Qualität eines Bildbeitrages entscheidend beinflussen.
Wozu der Vortrag? Am Ende des Kapitels werdet Ihr es verstehen.

***

Noch durch den Reißzwecken-Effekt belastet humpelte ich vor ein paar Tagen durch die Nachmittagsschwüle und den Portside Park über die Waterfront in Richtung Canada Place.  

(Höre ich da aus der Leserschaft ein "Laaaangweilig! Nicht noch ein Spaziergang, Du Popelkopp!" Ich bitte um Verzeihung und um noch ein klein wenig Geduld.) 

Die Strecke zwischen Portside Park und Canada Place war beinahe vollkommen menschenleer, was mir zunächst seltsam erschien, denn der Canada Place ist mit einer der belebtesten Orte in Vancouver überhaupt.  
In direkter Nachbarschaft des dicken Dampfers, den man links auf dem Panoramabild sehen kann, wurde ich Zeuge einer Bodhi Meditation Liberation Ceremony. Bitte fragt mich nicht, was sie zu bedeuten hat. Ich habe lediglich herausgefunden, dass dies eine Art buddhistische Andacht ist und hätte nicht eine der dort anwesenden Damen freundlicherweise das Pappschild hochgehalten, wüsste ich noch nicht einmal den Namen der Zeremonie.
Von einem Polizisten in Shorts beobachtet, standen dort in der sonstigen Menschenödnis etwa 150 Leute am Wasser, vornehmlich asiatischer Abstammung, viele davon in bordeauxrot gekleidet, und sangen. Von Ferne erinnerte mich das an eine Szene aus "Unheimliche Begegnung der Dritten Art", in der eine ähnlich große Gruppe ein und die selbe Tonfolge wieder und wieder anstimmt. Zwischendurch wurde applaudiert und ein Mensch im buddhistischen Mönchsgewand sprach dazu über Lautsprecher in einer mir fremden Sprache zu den Andächtigen. Die beschränkten sich aber nicht auf Dumm-Herumstehen und Singen, sondern traten, ähnlich dem christlichen Abendmahl, einer nach dem anderen vor, jedoch auf einen Bootsanleger (und nicht zum Alter), auf dem sie von weiteren, in religiöse Kutten gewandete Menschen erwartet wurden. Ebenfalls anders als beim Abendmahl nahmen sie dort keine Oblaten, sondern tote Fische aus bereitstehenden Kunststoffboxen in Empfang - jeder einen. Mit dem leblosen Tier bewaffnet ging man sodann zum Ende des Anlegers und ließ es sanft ins Wasser gleiten. Durch Zufall bemerkte ich einen Fischotter, der an just dieser Stelle im Hafenbecken seine Runden drehte und wahrscheinlich gerade dachte, er hätte im Lotto gewonnen. Zu blöd nur, dass er bestimmt keinen Kühlschrank hat... Was sonst könnte man als Kölner wohl zu der ganzen Veranstaltung sagen als: "Jede Jeck es anders" und natürlich begleitend mit den Schultern zucken. 

Nach ein paar Minuten und ein paar Fotos humpelte ich weiter an der Waterfront entlang und fand schon bald die Erklärung dafür, dass hier (außer den Bodhi-Buben und -Mädels) kaum ein Mensch anzutreffen ist. Der gesamte Canada Place, mit dem Convention-/Congress-/Was-weiß-ich-noch-alles Center ist nicht auf Meeresniveau gebaut, wie der verlassene Ostteil auf dem ich mich befand, sondern quasi ein Stockwerk darüber, sodass sich das ganze Touristenpack von der West Waterfront Promenade gar nicht hierher verirren kann, weil sie zumnidest rein optisch am Canada Place endet. Dä! Einmal mehr holt mich die Architektur ein und in diesem Fall finde sogar ich ignoranter Schnösel das ziemlich beindruckend. 
Underneath Canada Place
Die korrespondierenden Bilder sind also nicht in einem Tunnel oder einer einzelnen Tiefgarage entstanden, sondern zeigen die Unterseite eines riesigen Platzes mitsamt diverser Gebäudekomplexe darauf. Ich denke, man kann auch ganz gut erkennen, dass- und warum Touristen sich eigentlich nicht an diesen Ort verlaufen sollen: nackter Beton, hässliche blecherne Wartungsrohe, Kabel- und Lüftungsschächte und - nur logisch - Lieferantenzufahrten für die Menschen und Güter, ohne die der Platz ein Stockwerk höher überhaupt nicht funktionieren könnte.

Nachdem ich einen Durchgang passiert hatte, befand ich mich wieder unter freien Himmel und nicht nur am Ende der erwähnten Promenade, sondern durch puren Zufall auch am Floatplane Terminal, wo eine kleine Flotte von einmotorigen Wasserflugzeugen liegt. Schon bei meinem Marsch um Stanley Park vor ein paar Tagen waren mir die über dem Burrard Inlet kreisenden Fliegerchen aufgefallen. So richtig hatte es da aber noch nicht bei mir geklickt. Das passierte erst, als ich den Propellermaschinen ein Weilchen beim Starten und Landen zusah und mein völlig unzweifelhaft magischer mp3-Player mir währenddessen "Come Fly With Me" von Sinatra in die Ohren goss. Außerdem gingen mir ja allmählich die Straßen Vancouvers aus, deshalb...

Die Anmeldung von Tofino Air ist direkt beim Liegeplatz der Wasserflugzeuge, also nix wie hin da und gebucht! Dachte ich... 
Jedoch fliegt Tofino (verständlicherweise) nicht mit nur einem einzelnen Fluggast und so konnte ich bloß hoffen einen Flug zu bekommen, an den ich mich "anhängen" könnte, oder aber ich müsste selbst wenigstens einen weiteren Mitflieger finden. Der einzige den ich hier ein bisschen näher kennengelernt habe, ist Daren - mein "Smokebuddy", dem ich hin und wieder bei einer Zigarette vor dem Hotel begegne. Der war allerdings nur mäßig interessiert. Ich rief also ein paar Tage in Folge bei Tofino an, um mich nach Mitfluggelegenheiten zu erkundigen... bis dann auch noch das Wetter anfing zu nerven... Propellerflug ohne sehen zu können, ist wie mit verbundenen Augen auf dem laufenden Wäschetrockner sitzen... es kribbelt lustig am Popo, darüber hinaus jedoch ist es nicht sonderlich aufregend.

*** 

Heute aber, JETZT ist die Warterei vorbei. Es endlich so weit!
Ich habe mir extra den Wecker gestellt, um möglichst früh bei Tofino Air anrufen zu können und habe ääändlich einen Jumpseat bekommen (wie wir Fliegernerds gerne sagen). Der Himmel ist für die geringe Flughöhe gerade richtig - nicht zu wolkenfrei, nicht zu waschküchig und ich bekomme eine 45-minütige Tour kurz vor Sonnenuntergang über Teile der Stadt, die Berge im Nordwesten, den False Creek und natürlich das Burrard Inlet (letzters ist unumgänglich, denn dort wird gestartet und gewassert).
Dieser Rundflug ist aber nicht ausschließlich zum Vergnügen gedacht, sondern genau wie die Brückenkletterei im letzten Jahr, soll er einen therapeutischen Zweck erfüllen. 2010 habe ich mich mit meiner Akrophobie auseinandergesetzt, 2011 nun soll es die Klaustrophobie sein. Obwohl ich ein ausgeprägtes Interesse an Flugapparaten und allem was damit zusammenhängt habe, empfinde ich das Fliegen selbst als nicht sonderlich angenehm. Das gilt insbesondere für Linienflüge über sehr lange Strecken... Mein ganzes Unwohlsein dabei gründet im Nicht-Hinauskönnen - und je enger der abgeschlossene Raum, desto größer das Unwohlsein.

Das (tatsächlich urkanadische) Flugzeug, in das ich im Begriff bin einzusteigen, ist eine von Transport- zu Passagiermaschine umgebaute De Havilland Beaver, mit sechs Sitzplätzen (gepolsterte Klappstühle ohne Kopfstützen (für Zwerge!)) und einem kaum geräuschgedämpften 9Zylinder-Sternmotor mit 450 PS Leistung, dessen brubbelnden Schalldruck man noch in 50 Metern Entfernung in der Magengegend spüren kann. Im Grunde ist es nicht mehr, als ein furchtbar lauter, gnadenlos übermotorisierter VW-Bulli T1 mit popgenieteten Tragflächen aus fimschigem Alublech an den Seiten und bananenförmigen Schwimmkörpern anstelle von Rädern. Ick steh total uff dat Ding!

Im Wartebereich von Tofino Air lerne ich meine Mitflieger kennen - ein sehr junges Pärchen aus der Schweiz. Ich stelle mich den beiden vor und lasse meinen ganzen Charme sprühen (zugegeben, so viel ist das nicht), um die beiden ein bisschen aus der Reserve zu locken. Sie wollen sich aber nicht recht locken lassen und deshalb dränge ich mich auch nicht weiter auf. Was ich erfahre ist, dass die junge Frau heute Gebutstag feiert und der Rundflug ist eines ihrer Geschenke. Insgeheim freue ich mich darüber, es mit einem Pärchen zu tun zu haben, denn (Pärchen stinken, Pärchen lügen, Pärchen winken und fahr'n nach Rügen) Pärchen möchten immerzu alles gemeinsam händchenhaltend erleben und das wiederum bedeutet (hihihiii)... dazu komme ich gleich noch.

Unser Pilot (Typ: Matt LeBlanc) betritt die Szene. Sein Name ist Maxos und er spricht trotz griechisch klingendem Namen mit starkem französischen Akzent. Zunächst betet er pflichtbewusst die Notfallprozeduren mit Schwimmwesten und dergleichen herunter, und das klingt in Originallänge (mit Originalakzent) so: "Sies ar se döörs. In cäis öf än imörschonßie-wotering yü püll sis lävver tu öpen. Did yü onderstände? Very güüd. Dü yü gais nöu 'au to jüs ä laif-vest? Excellon!"  
Ende der Einweisung.

Nun erklärt uns Maxos, wie für gewöhnlich die Sitzverteilung bei einem Flug mit drei Passagieren aussieht - nämlich: einer vorn, einer in der Mitte und einer hinten, sodass alle jederzeit an beiden Seiten des Flugzeugs hinausschauen können, aber er fügt noch hinzu "önless tü öf yü priföre tü sit tügäser" (übers. "es sai denn, ßwei vön Eusche möschtön libör ßusammon sitzön")
Ha! Doppelha! (und nochmals hihihiii) 
Natürlich wollen die beiden schwiezerr Schockchiehasen (das Pärchen) beieinander sitzen und also fragt Maxos mich, ob ich vielleicht den Sitz neben dem Piloten einnehmen möchte. Genaugenommen kommt er gar nicht dazu, die Frage vollständig auszuformulieren, weil ich schon längst da sitze.

Maxos besteigt den Pilotensitz, wirft die Türen des fliegenden VW-Bullis scheppernd ins Schloss und ich warte darauf, dass mich das eingesperrte Unwohlsein überkommt, das von kalten Schweißausbrüchen und Übelkeit begleitet wird.
Schon die australische Höhenangsttherapie im letzten Jahr hat gezeigt, dass wenn ich mich halbwegs motiviert und entspannt mit solcherlei Dingen beschäftige, nichts anderes als innere Ruhe dabei herauskommt - und so ist es auch jetzt, in diesem barbarisch lauten, vibrierenden und klappernden Ersatzteillager. Eigentlich ist es sogar noch besser. In der Sekunde, in der ich mich auf den gepolsterten Klappstuhl (für Zwerge) fallen lasse, fühle ich mich wie zu Hause. Ich könnte mich eigentlich nur noch mehr wie zu Hause fühlen, wenn ich auf dem Pilotensitz säße. 

Der olle Pratt&Whitney Motor ist spotzblubberig angesprungen, ich zucke drei bis viermal mit der Augenbraue, wir rumpeln über die Wellen des Inlets, heben langsam ab und ich bin derart entspannt, dass ich glatt wegdösen könnte. Wenn das ginge, würde ich in der mir noch verbleibenden Zeit in Vancouver das Hotelzimmer gegen diesen gepolsterten Klappstuhl (für Zwerge) eintauschen. 

Für fünf Minuten nehme ich Euch mit. Haltet Euch bloß die Ohren gut zu! (oder aber stellt die Lautsprecher auf leise) 

!!!ERNST GEMEINTE WARNUNG!!!
 EXTREM LAUTE TONSPUR 

Freitag, 26. August 2011

A DAY IN A LIFE



Vor meiner Abreise nach Vancouver hatte ich einen kurzen Plausch mit meiner Schwester Wiebke, während dessen sie mich ob meiner 'Unbeweglichkeit' in Kanada ein wenig ungläubig fragte: "Drei Wochen Vancouver? Ja was machste denn, wenn Dir in Vancouver plötzlich die Straßen ausgehen?" Obgleich ich das eigentlich nicht für möglich gehalten hätte, bin ich jetzt wirklich beinahe an diesem Punkt angelangt. Ich habe zwar bestimmt noch nicht alles gesehen, was es hier zu sehen gibt, bemerke aber bei meinen z.T. ziellosen Ausflügen, dass ich manchmal mir-nichts-Dir-nichts wieder in einer Gegend ankomme, in der ich vielleicht tags zuvor, vielleicht letzte Woche schon einmal gewesen bin. Man könnte auch sagen, dass ich mich jetzt in Vancouver auskenne - zumindest was die Straßen der Stadt und mittlerweile, dank Hinkefuß, auch die öffentlichen Verkehrsmittel betrifft.
Deshalb stellt sich nach und nach eine Art Routine ein - und zwar die gute Art von Routine, weil ich mich nunmehr mit einer größeren Selbsverständlichkeit in der Stadt bewegen kann. Das bedeutet, ich muss mich nicht mehr vornehmlich auf das bloße Von-A-nach-B-Kommen konzentrieren, sondern finde quasi mit "Autopilot" mein Ziel (sofern es denn eins gibt) und habe auf dem Weg dorthin vollkommen die Augen und Ohren für all das frei, was eben zwischen A und B liegt.
Zur Routine gehört auch, dass ich jetzt zuverlässig und immer das Hotelfrühstück verschlafe. Nach dem Aufstehen (so gegen elf-halbzwölf) steuere ich zum Start in den Tag die Ecke E Pender und Main an, wo ich mir einen Espresso Machiato und ein Croissant genehmige. "Waves" heißt das Kaffee-Unternehmen und ist mit seinen beinahe 20 Filialen auf einem sehr hoffnungsfrohen Weg, Starbucks schon bald den Rang abzulaufen. Der Kaffe ist gut und das Croissant ist lustig. Das Croissant ist deshalb so lustig, weil der gemeine Nordwest-Amerikaner nicht in der Lage ist, dieses Wort auszusprechen und das wiederum ist für mich Grund genug, es wieder und wieder zu bestellen: 
E: "An Espresso Machiato and one Croissant please." 
Waiter: "Certainly Sir, the Machiato and a Croysand."
E: "No, excuse me - I meant the Croissant."
W: "Yeah sure, the Croysand."
Hachja - ein Spaß der niemals langweilig wird.

Nach dem Frühstück schlendere ich auf der Pender weiter stadteinwärts zur Mall beim "International Village", versehe mich bei seven/eleven mit einer großen Flasche Wasser und beginne dann erst mit der jeweiligen Tagesunternehmung. Um diese Zeit etwa fällt mir auch langsam der Schlaf vom Gehirn ab und ich lege meine tägliche House-Keeping-Wette fest - wird auch nie langweilig. Obwohl ich seit meiner Ankunft jeden Abend das "Do NOT disturb"-Schild von außen an die Zimmertür gehängt habe, bin ich schon mehrfach vom House-Keeping deutlich vor 9Uhr morgens aus dem Bett geworfen worden. Ich kann sehr gut verstehen, dass die Mädels gerne möglichst früh mit ihrer Arbeit fertig sein möchten, aber bitte nicht auf Kosten meines Schönheitsschlafes. Ich habe mich daraufhin sehr höflich bei der Rezeption erkundigt, ob die House-Keepers dazu angehalten sind, bei den Gästen zu klopfen. Nachmittags habe es damit schon seine Richtigkeit, erfahre ich, denn schließlich müsse man sicher gehen, dass der Gast wohlauf oder wenigstens noch am Leben sei, wenn den ganzen Tag über das Schild an der Tür nicht bewegt würde. Ich erkläre, dass ich gegen einen nachmittäglichen Weckruf bestimmt nichts einzuwenden hätte, wenn man dafür auf den morgendlichen Überfall verzichten könnte.
Seither ist wohltuend kühle Ruhe im Karton und zwar derart gründlich, dass die Mädels auch nachmittags nicht mehr klopfen. Ich habe mich einmal zufällig nachmittags im Zimmer aufgehalten und hatte vergessen, das Schild einzuholen. In den Zimmern nebenan wurde gepoltert, geräumt und gesaugt, mein Zimmer hingegen wurde völlig anklopffrei ignoriert. Aber auch wenn das Schild nicht den ganzen Tag draußen hängt, kann es sein, dass ich abends in ein unaufgeräumtes Zimmer zurückkehre. Natürlich mein Fehler. Ich habe nun einmal bei den Mädels vergeigt und deshalb spiele ich jetzt jeden Morgen mit mir selbst die House-Keeping-Wette und jedes Mal wenn ich sie verliere, geht wieder ein kleiner Beitrag in den Trinkgeldjackpot für die Room Maids, den ich am Tag meiner Abreise zurücklassen werde - ein Spiel mit Überraschungen auf allen Seiten. Heute tippe ich auf... hmmm, frische Laken. 

Nach der täglichen Startroutine mache mich heute einmal auf den Weg zur öffentlichen Zentralbibliothek und zwar nicht um mir Bücher auszuleihen, sondern weil mir der Reiseführer sagt, dass man das Ding unbedingt gesehen haben sollte, wegen der großartigen Architektuhur. Wie die weniger vergesslichen unter den LeserInnen ja bereits wissen, ist Archtiektur seit jeher eines meiner allergrößten Steckenpferde (schon wegen der Häuser und so) und deshalb kann und darf ich mir dieses Highlight selbstredend nicht entgehen lassen. Mit dem Fingerchen auf der Karte könntet ihr Euch ja inzwischen ein wenig auskennen, also fahrt doch schon mal an die Ecke W Georgia/Homer, während ich die selbe Strecke laufe. 
Dorthin unterwegs können wir ja ein wenig über Toiletten plaudern - jawohl, über Toiletten. 

Es gäbe über die ungewohnten Kleinigkeiten hierzulande, für Kleinigkeitenkrämer wie ich einer bin, wahrscheinlich ganze Bücher zu füllen - z.B. über die Fahrspuren die sowohl für Busse als auch für Radfahrer reserviert sind. Man stelle sich vor(!): Die erklärten Erzfeinde unter den Verkehrsteilnehmern werden in den selben "Lebensraum" gezwängt - als würde man säckeweise Kobras und Mungos zusammen in einen Käfig werfen, um herauszufinden, wer am Ende noch atmet. Aber auch die Ampelmännchen an Fußgängerüberwegen, die Pub-Etiquette/Kneipenkultur, die Tatsache dass ältere chinesische Damen zumeist ziemlich alberne Hüte tragen oder das unsägliche kanadische Nationalgericht in all seiner schlotzigen Pracht (bidde hier klicken POUTINE)  wären schon das ein oder andere Kapitel, wenigstens aber ein paar tausend Zeichen wert.

Besonders erwähnenswert jedoch finde ich die amerikanischen Toiletten und wir wollen doch einmal sehen, wie ich durch diese leicht schräge Nummer komme, ohne andauernd die Worte "Klo" oder "Toilette" zu wiederholen. 
Viele werden das Ding vielleicht schon aus amerikanischen Spielfilmen kennen, für alle anderen hier eine kurze Beschreibung: Im bloßen Aussehen unterscheidet sich die amerikanische Defäkationskeramik nicht von dem, was wir in Deutschland gewohnt sind, jedoch die Funktion ist (vom prinzipiellen Entsorgungszweck einmal abgesehen) ein bisschen anders. Während in unseren Schokoschüsseln nur am Grund eine kleine Wasserpfütze steht, die in erster Linie als Geruchsverschluss gegen die aus der Kanalisation aufsteigenden Fäulnisgase fungiert, steht in der nordamerikanischen Nougatschleuder ein ganzer See. Etwas weniger assoziativ erklärt: Der Wasserspiegel des hiesigen Frikadellen-Throns steht im Ruhezustand nur knapp zwei Handbreiten unterhalb des Sitzes*. Dieser Umstand hält nun einen großen Vor- aber auch ein paar Nachteile parat. 
Zunächst der Vorteil: Durch diese ca. drei Liter Wasser, mit der der Innenraum eines solchen Wurstschluckers permanent geflutet ist, haben die Feststoffe körperlicher Ausscheidungen kaum die Möglichkeit sich an den Wandungen abzusetzen - es sei denn, man hatte womöglich eine Portion flüssigen Teer zum Dinner. Und weil das so ist, gibt es hier auch keine Klobürsten (Moooment! Klobürste zählt nicht als Wiederholung! Klobürste ist ein eigenständiges Substantiv) - weder am Ort der Erleichterung selbst, noch irgendwo zum Verkauf. Dies ist eine klobürstenfreie Nation, ja womöglich gar ein klobürstenfreier Kontinent. Ein Bonuspunkt für die Hygiene.

Nun Nachteil 1: Unabhängig davon welche Sorte von Geschäft man verrichtet - 'klein' oder 'groß' (engl. analog 'number one' bzw. 'number two') werden bei jeder Spülung drei Liter Schüsselsee plus Inhalt des Spülkastens an gutem Trinkwasser in den Untergrund gejagt. Zeitgemäß?

Und zu guter Letzt der Nachteil, der besonders den männlichen Teil der lebendigen und mithin metabolisierenden Menschheit betrifft: Mann sitzt und laboriert an 'number two' - ich lasse mir dabei gerne Zeit - liest womöglich in einer Zeitung und denkt an nichts Böses. Je nachdem wie großzügig Du nun als Mann von der Natur ausgestattet wurdest und je nach Aufmerksamkeit für das eigentliche Geschäft, kann es dabei vorkommen, dass Dir plötzlich Dein primäres Geschlechtsmerkmal in der Plörre baumelt, in die Du soeben Deinen Enddarm entleert hast. (Zu viel Information? Wat willste machen... Läbbe is kein Bällchenbad...) Ich bin auch hinsichtlich der natürlichen Ausstattung lediglich Durchschnitt und doch ist mir diese ziemlich unangenehme Erfahrung mehr als nur einmal zuteil geworden.
Vielleicht ist jetzt auch klar, warum mich dieser Punkt mehr berührt hat als z.B. Ampelmännchen o.ä.... aber schau, da sind wir auch auch schon bei der weltberühmten Zentralbibliothek Vancouvers angekommen. Ist das nicht wirklich ein hübsches... Haus?

Es mag womöglich beim einen oder bei der anderen irgendwann der Eindruck entstanden sein, ich stünde dem Berufsstand der Architekten und ihrem eigentlichen Handwerk ein wenig spöttelnd gegenüber, was so nicht stimmt. Fakt ist: Ich verstehe von Architektur so gut wie überhaupt nichts, deshalb konzipiere und baue ich keine Häuser - so weit, so simpel. Schaut man sich nun in der Geschichte des prinzipiell hausbaufremden Designs im Allgemeinen und Speziellen ein wenig um, wird man immer wieder auf Architekten stoßen, die:
- Typographiesätze entwickelt haben
- Zeitschriften Layouts verpasst haben
- Karrosserien entworfen haben
- BHs entwickelt haben (natürlich war das ein Mann)
u.s.w. u.s.f. - die Liste der fachlichen Verirrungen scheint nahezu endlos zu sein.

Man könnte sehr frei nach dem veralteten Slogan für ein Frauen-Hygieneprodukt zusammenfassen: "Die Geschichte der Architektur ist eine Geschichte voller Missverständnisse." Also bitte nochmals nix für ungut liebe Architekten. An dem Tag, an dem Ihr damit aufhört anderen Handwerkern ins Handwerk zu pfuschen, höre ich damit auf Witze darüber zu machen. Wir alle wissen natürlich, dass dieser Tag niemals kommen wird, jedoch wollen wir auch alle gemeinsam dankbar dafür sein, dass ich nur Witze mache und nicht etwa auf den potentiell todbringenden Gedanken verfalle irgendwann einmal Häuser bauen zu wollen. Zur Versöhnung für die Verhohnepiepelten mache ich die Bilder von der Bibliothek ganz besonders architektionalistisch, mit kräftigen Kontrasten und Fokus auf das Bauwerk.

Nix für Akrophobiker
Das Attribut 'weltberühmt', das ich etwas weiter oben verwendet habe, war übrigens nicht übertrieben. Wenn auch nur unbewusst, werden nicht wenige dieses Gebäude schon in dem ein oder anderen Hollywoodstreifen wahrgenommen haben und es eignet sich (natürlich nicht nur) zum Filmen/Fotografieren auch wirklich ganz hervorragend. Das Bild mit der Unterschrift "Nix für Akrophobiker" habe ich im und zugleich aus dem vierten Stock geschossen. In der rechten Bildhälfte sieht man den eigentlichen Bibliothekskomplex der über schmale Stege mit kleinen Studiereckchen (zu erahnen am oberen linken Bildrand) verbunden ist. Einer dieser Stege ist oben mittig sehr gut zu erkennen (nicht vergessen: durch Anklicken kann man die Bilder in Vergrößerung anschauen). Zu erkennen ist auch, dass nicht mehr als drei Personen nebeneinander auf solch einem Steg Platz finden und weiterhin, dass die begrenzenden Geländer im Wesentlichen aus Klarglas bestehen, sodass einem dort schon ein wenig schwindelig werden kann.
Tjanun... mehr erzählenswertes von allgemeinem Interesse kann zumindest ich von diesem... (es bleibt dabei) Haus leider nicht berichten. Wie schon erwähnt, habe ich von Architektur so gut wie überhaupt keine Ahnung und das macht ja auch nichts. Gehen wir einfach weiter zur nächsten Empfehlung aus meinem Reiseführer, nämlich der:
World of Science
Ich bin ein bekennender und großer Fan der Naturwissenschaften und deshalb sollte man doch eigentlich annehmen, dass die World of Science für mich so etwas sein müsste wie ein Schuhgeschäft für Imelda Marcos. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, dass der Reiseführer den zusätzlichen Hinweis gibt, dass dies eher eine Attraktion für Kinder sei - was mich nicht schreckt, weil mich auch interessiert, wie man die Materie didaktisch transportiert. 
Kürzen wir das Thema etwas ab und halten fest: Dies ist eine Attraktion ausschließlich für sehr kleine Kinder. Ich merke recht schnell, dass ich in dieser Wissenschaftswelt komplett fehl am Platz bin und haste nach 23 Dollar Eintritt durch die Austellung mit der Geschwindigkeit von etwa einem Dollar pro Minute. Das für mich interessanteste Exponat war die offene Deckenverkleidung am Eingang, die auch weite noch im Bau befindliche Teile der Ausstellung repräsentiert. Nicht schlimm, Schwamm drüber, abhaken, weiter im Text. 
Ich befinde mich ganz in der Nähe der Skytrain-Station Main Street, wo ich mir von einer wunderhübschen jungen Frau namens Trisha den Ticketautomaten erklären lasse, bevor ich mit der Bahn ein paar Stationen zurück in Richtung Waterfront (also Downtown) fahre. Skytrain nennt man hier die Straßenbahn, weil es viel toller klingt als 'Straßenbahn' und weil es zum Großteil eine Hochbahn ist. Und (ganz unter uns) den Ticketautomaten hätte ich mir eigentlich auch nicht erklären lassen müssen...
Jetzt tritt beim Weiterschlendern der anfangs beschriebene Effekt ein: von Downtown bin ich ruckzuck in Gastown und ruckruckzuckzuck in Chinatown, obwohl ich auf immer anderen Wegen laufe. Und besonders kurios, nachdem ich die südlichste Ecke von Chinatown erreicht habe, stelle ich fest, dass ich wieder in unmittelbarer Nähe der Skytrain-Station Main Street gelandet bin. Natürlich nimmt der Weg etwas mehr Zeit in Anspruch als seine Beschreibung.

Für heute gibt es nur noch ein Ziel: Phnom Penh, ein vietnamesisch-kambodschanisches Restaurant auf der East Georgia, das über die Grenzen Vancouvers hinaus wegen seines guten und preigünstigen Essens bekannt geworden ist. Ich bin schon zweimal dort gewesen und immer wieder unverrichteter Dinge abgezogen, weil der Laden jedes Mal gerammelt voll war. Auch heute verhält es sich nicht anders, obwohl ich ziemlich genau die Zeit zwischen Lunch und Dinner abgepasst habe. Heute bleibe ich jedoch standhaft und warte darauf, dass ein Platz frei wird. 
Eine der Bedienungen führt mich schließlich an einen Tisch mit acht Plätzen, von denen fünf besetzt sind. Kurze Zeit später nuckele ich an einem grünen Tee, der gratis aus- und nachgeschenkt wird und die abgegessene Fünfer-Gruppe verabschiedet sich von meinem Tisch, sodass ich jetzt alleine an einem Achtertisch inmitten eines proppevollen Restaurants sitze. Mir ist das aber alles Wurscht, ich habe nur noch Hunger. So Ihr lieben Menschen, beschäftigt Euch mal mit etwas anderem, damit ich in Ruhe essen kann. Jaja ich weiß, ich bin Euch noch eine ganz andere Unternehmung schuldig - die bei der ich meinen Fuß nicht so sehr viel bewegen muss. Die habe ich kurzer Hand verschoben, weil sie wetterabhängig ist und das Wetter zwischenzeitlich ziemlich durchwachsen war. Außerdem ist mein Fuß jetzt wieder vollständig genesen und ich müsste ihn eigentlich nicht mehr schonen.
Trotzdem wird diese Unternehmung angegangen und das komplette nächste Kapitel ausfüllen - dieses Mal sogar mit einem kleinen Filmchen...

Heute war es mal nicht ganz so spannend, sondern eben nur A DAY IN A LIFE. Morgen wird es dafür umso aufregender. 
Jetzt aber ersma Mahlzeit!


* in der Standard-Ausgabe. Es gibt durchaus auch modernere Stuhlgangstühle, die mit weniger Wasser auskommen.  

Sonntag, 21. August 2011

INTERMITTENT CLAUDICATION

In den nun folgenden Tagen lasse ich die Dinge betont ruhig angehen, nicht zuletzt um meinen wehen Fuß ein wenig zu schonen. Der Grad der Fußerkrankung ist zwar nicht besorgniserregend, aber zeitweise beim Auftreten recht unangenehm. Nachdem ich die Blasen aufgestochen hatte, scheint eine davon mit irgendeiner Verunreinigung in Kontakt gekommen zu sein und hat sich, wie an anderer Stelle bereits erwähnt, prompt entzündet. Merke: niemals ohne Jodtinktur reisen. Es fühlt sich ein bisschen an wie eine Reißzwecke in der Ferse, an die man sich gewöhnt hat, weil sie schon seit geraumer Zeit da drin steckt, die sich aber, sobald man etwas unglücklich auftritt, noch tiefer ins Fleisch bohrt. Dieser sporadisch auftretende Reißzwecken-Effekt verleiht meinem Gang und der einhergehenden Mimik ab und an eine gewisse Slapstickqualität: Schritt, Schritt, falscher Schritt - Hoppser & Zitronengesicht.


Dementsprechend hat sich der Radius meiner Spaziergänge drastisch verkürzt, bislang jedoch habe ich noch keinen kompletten Tag im Hotelzimmer verbracht. Hauptsächlich habe ich mich in Chinatown herumgetrieben, ein paar Kunstgalerien besucht (von denen es nicht nur in Chinatown eine ganze Menge gibt), in ein paar Souvenirläden nach lustigen Scheußlichkeiten Ausschau gehalten (erfolglos; scheußlich ja - lustig nein) und natürlich bin ich auch im chinesischen Garten gewesen, durch dessen  bullaugenförmigen Eingang ihr ja schon spinxen konntet. 
Wäre er nicht so wunderschön und beschaulich wie er ist - mit seinem Seerosenteich, den kleinen Zickzackbrückchen, den die Wege überschattenden Trauerweiden, den Ziermäuerchen und den kleinen Pinien - könnte der Garten zu meinem vancouverschen Lieblingsplatz werden. Weil er aber so wunderschön und beschaulich ist, ist er auch immerzu von Menschen überlaufen, was zwar nicht seiner Schönheit, jedoch seiner Beschaulichkeit gehörigen Schaden zufügt. 
Auch ein Kino gibt es in Chinatown, plaziert im obersten Stockwerk einer Mall, die an das sog. 'International Village' angrenzt, was nach meinem (nicht verifizierten) Dafürhalten nichts weiter als ein werbetauglicher Name für die Gegend ist, erfunden von einer Immobiliengesellschaft, die dort Besitztümer feil hält. Warum auch nicht? Es klingt doch auf jeden Fall netter als z.B. Neubrück, oder etwa nicht?
Neben den in solchen Malls üblichen Geschäften finde ich hier auch die nicht zu protzige Ausstellungsfläche eines bekannten europäischen Autoherstellers, der dieses internationale Parkett dazu nutzt, eine seiner zukunftsweisenden Konzeptstudien zu präsentieren. Es ist derselben deutlich anzusehen, dass auch der "Créateur d'Automobile" nicht umhin kann, den Folgen der weltweiten Finanzkrise Rechnung zu tragen. Et alors? Tres petit mais tres tres chic!
Außerdem lerne ich Omar in dieser Mall kennen. Omar ist senegalesischer Abstammung und lebt seit etwas mehr als zwanzig Jahren in Vancouver, was seinem senegalesischen (nennen wir es einmal neutral) Akzent jedoch keinen Abbruch tut. Er führt im Erdgeschoss der Mall einen kleinen Afrikaladen mit jeder nur erdenklichen Sorte von...handwerklichen Kleinerzeugnissen, hauptsächlich zu Dekorationszwecken (kapiert? nicht? Dann klick mal auf den türkisen OMAR)(hihihi). Weil ich nun schon einmal in Kanada bin - und weiß der Deibel, ob ich jemals wieder hierher kommen werde - kaufe ich selbstverständlich eine Kleinigkeit in Omars Afrikaladen. Das erscheint Dir nicht recht stimmig? Dann kennst Du mich offenbar noch nicht - willkommen zu meinem Blog! Für mich ist das eine absolut schlüssige, reine Vernunftentscheidung. 
Mit einigem Stolz kann ich auch berichten, dass nicht nur Omar, sondern auch alle anderen Menschen mit denen ich mich im Hotel, in Geschäften oder sonstwo unterhalten habe, meinen sprachlichen Akzent noch nicht nach Deutschland sortieren konnten. Ich mache also gewisse Fortschritte, gemessen an den Erfahrungen im letztem Jahr.
Ihr seht, selbst wenn ich ein wenig eingeschränkt operiere, langweile ich mich nicht und hadere auch nicht mit dem die Ferse mutierenden Schicksal, sondern habe immer noch tonnenweise Spaß. Wehwehchen hin, Zipperlein her - ich habe mir heute eine Unternehmung rausgepickt (und mich darüber auch schon ein bisschen schlau gemacht) die mich trockenen und quasi bewegungslosen Fußes etwas Neues und anderes sehen lassen soll. Wenn alles klappt, wirds am Dienstag losgehen und vielleicht erstatte ich dann schon am Mittwoch Bericht. 

Samstag, 20. August 2011

STANLEY PARK & WINE DINING LIKE A KING (II)

Das Wasser auf dieser Seite des Pazifiks fühlt sich genau an wie... wie... wie Wasser. Das letzte Mal habe ich diesen schlechten Witz vor etwa einem Jahr gemacht und er lässt mich an meine Freunde auf der anderen Seite des Pazifiks denken. Ich wende mich im Wasser stehend grob nach Südwest und winke in Richtung Australien (achwas Erdkrümmung, papperlapapp - irgendwie werden die das schon mitbekommen und sei es, dass sie es hier im Blog nachlesen). Eine Mutter, die ein paar Meter weiter mit ihren zwei Kindern ebenfalls im Wasser steht, sieht mich winken und deutet gestikulierend die Frage an, ob ich vielleicht sie mit dem Winken gemeint haben könnte. Ich mache mit beiden Händen eine verneinende Geste und zeige anschließend sozusagen zur Erklärung und mit Nachdruck noch einmal in Richtung Australien. Das nützt der Guten zwar überhaupt nichts, erheitert mich aber ungemein. Ohne ihre Reaktion abzuwarten, wate ich zurück zum Strand, trockne mir die Füße, deren Temperatur durch das kurze Bad auf normal gesunken ist, ziehe Socken und Schuhe an und begebe mich nunmehr entlang der blauen Linie (die Karte funktioniert genau wie im ersten Teil) wieder in Richtung City - zum zweiten Mal am Second Beach-, zum dritten Mal an der verlorenen Lagune vorbei. 
Auf dem Weg zum Lagoon Drive begegne ich einer Gruppe von Leuten, die dabei zuschauen, wie ein Mann eine vierköpfige Waschbärenfamilie mit rohen Hühnereiern füttert und dazu irgendwelche Erklärungen abgibt. Dieser Mann ist schwarz gekleidet, dunkelhaarig, bärtig und etwas länger als 1,80 Meter. Nun wissen wir also auch, wieso die Waschbärenfamilie sich mir gegenüber vorhin so erwartungsvoll gegeben hat - der Typ wird das wohl häufiger machen und trägt wahrscheinlich häufiger schwarze Klamotten, genau wie ich heute zufällig schwarze Kleidung trage und auch sonst einigermaßen auf die gemachte Personenbeschreibung passe. Schön wenn einem Zusammenhänge ersichtlich werden, ohne deren Aufschluss man aber immer noch völlig unbeschwert weiter leben könnte. Damit sind wir jetzt einmal komplett rum um den Stanley-Pudding. Den Entenschnabel haben wir ein wenig abgekürzt, also ziehen wir 3km von der 9km-Runde ab, dafür sind wir gleich dreimal an der Lagune vorbei, deshalb legen wir wieder 2km drauf.
*** 
Ungefähr zu der Zeit, zu der ich wieder in die Barclay einbiege, registriert mein körpereigener Vorratsverwalter (Peter Pankreas) einen höchst dramatischen, ja womöglich gar lebensbedrohlichen Schwund bei den Fettreserven: "Wer war denn da am Butterschrank?! Und wo ist der ganze Zucker hin?!" Die Darmzotten winden sich ein wenig und versuchen sich aus der Affäre zu ziehen: "Der Metabolismus wars!" Das ist natürlich eine total beknackte Ausrede. Darmzotten: dumm wie Kot. Der ganze Apparat wird abgesucht, nur eine Fraktion wird überhaupt nicht verdächtigt, weil sie für gewöhnlich und sowieso immerzu Pause macht: die Muskeln. Wer hätte darauf schon kommen können? Die Hirnrinde beendet schließlich die überflüssige Debatte: "So, jetzt kümmern sich bitte wieder alle um ihren eigenen Scheiß... "
Mastdarm: "Scheiß?"
Hirnrinde: "(stöhn)... um ihr eigenes Bier."
Leber: "(gähn)... hm? Bier? Schon wieder?" 
Hirnrinde: "Meine Güte! Alle Mann Klappe zu jetzt und weiterarbeiten. Ich jongliere hier oben gerade mit Pfrumeldrogen und sobald ich damit durch bin, gibts Nachschub vom Feinsten." Und sie grummelt noch in sich hinein: "Niedere Körperfunktionen - du kannst nicht mit ihnen leben und Du kannst sie nicht vor den Bus schubsen..."
*** 

In meinen Gedanken verfestigt sich die Idee einer Belohnung für die Mörderwanderung, die jetzt noch lange nicht vorbei ist. Ich werde heute bomforzionös zu Abend essen, soviel steht fest. Dazu muss ich natürlich erst einmal das passende Restaurant finden und das wird sich vermutlich am besten auf der Robson machen lassen, denn "Vancouvers Laufsteg" ist zugleich Vancouvers Restaurantmeile. Weil wir die Barclay Street ja schon kennen, habe ich für den Rückweg ins Westend die Haro Street genommen - nicht ganz so vornehm, aber nicht weniger idyllisch - und biege nach links in die Cordero ein, wo ich ein kleines Delikatessengeschäft mit "Euro Specialties", i.e. einer richtigen Metzgerei mit leckersten Fleisch- und Wurstwaren und einer echten Käsetheke entdecke. Mir läuft (die Hirnrinde hat ganze Arbeit geleistet) das Wassr im Munde zusammen. Das ist jedoch kein Restaurant und ich möchte ja nicht kochen, sondern mich aufs Feinste bekochen lassen und biege also an der nächsten Kreuzung nach rechts in die Robson ein und tune meinen Radar auf feine Restaurants.
Hierzu begleitend wieder ein paar Aushängeschilder, die ausnahmsweise nicht interessant, sondern aus Medienfuzzisicht einfach nur perfekt für ihre Zwecke geeignet sind wie z.B. "Don Guacamole's" oder "Zefferelli's Spaghetti Joint" - witzig, zweideutig aber nicht zu zweideutig, freundlich und einladend in der Aufmachung (dafür ein glatte 1 von mir) jedoch für meine Bedürfnisse zumindest heute nicht etepetete genug. Nee, da muss schon was mit größerem Nasehochfaktor daherkommen und damit wir nicht wie die Bauern in den noch zu findenden Laden hineintrampeln, schalten wir ab sofort von Umgangssprache wieder um auf Schriftsprache... (räusper) Nein, Lokalitäten wie Don Guacamole's und Zefferelli's kommen für mich heute nicht nicht in Frage. Für den heutigen Abend bevorzuge ich ein etwas gehobeneres Ambiente. Besonders wichtig an guten Manieren ist (so finde ich), dass sie auf gar keinen Fall aufgesetzt wirken dürfen, sondern einen natürlichen Bestandteil der Persönlichkeit bilden. Das äußert sich unter anderem im Weglassen bestimmter Kleinigkeiten, die bisweilen als besonders feines Benehmen missverstanden werden. Mit abgespreiztem kleinen Finger die Tasse heben und zu den gespitzten Lippen führen darf man z.B. nur, wenn man bei seiner 7jährigen Nichte zur imaginären Teestunde mit Baronesse Barbié und Lord Teddythorpe eingeladen ist - sonst aber nicht. Es sieht äußerst albern aus und wirkt mehr als affektiert. 
Kleiner Knigge (oder besser 'Kneicke'): Oberstes Gebot, egal ob in feinen Restaurants oder wo auch immer sonst man fremd ist, ist Höflichkeit. Wird die Höflichkeit erwidert, quittiert man das mit Freundlichkeit. Wird die Höflichkeit nicht erwidert, quittiert man das mit kalter Höflichkeit. An das untere Ende dieser Skala nähert man sich über 'herablassende Höflichkeit' bis hin zu 'abweisende Höflichkeit' - wenn man den Bogen heraus hat, kann das ziemlich spaßig sein. Am liebsten bin ich aber immer noch freundlich und das ist eigentlich auch die leichteste der Übungen, denn mit Freundlichkeit kann man sogar vorübergehend unhöfliche Menschen anstecken. Permanent unhöflichen Menschen ist leider nicht zu helfen.

Patina 1
An der Ecke Robson und Jervis werde ich schneller als erwartet fündig. Ich tippele ein wenig auf den Punkten bei der blauen Linie auf und ab, um den Betrieb von außen schon einer optischen Prüfung zu unterziehen. Alle Tische sind mit Weingläsern, Besteck für Vor- und Hauptspeise eingedeckt, dazu schlicht rechteckig gefaltete weiße Leinenservietten auf kleinen zusätzlichen Tellerchen für etwaig anfallende Reste und selbstredend weiße, faltenfreie Leinentischtücher. 
Patina 2
Den Anspruch auf einen Michelin-Stern würde O'Doul's Restaurant & Bar wahrscheinlich nicht erheben wollen (ungeachtet der Tatsache, dass vom Guide Michelin ohnehin nur in Europa Beurteilungen abgegeben werden), denn dazu müsste als erstes die leicht unschöne "Patina" in den Fugen der verklinkerten Fassade entfernt (oder besser noch, die komplette Fassade erneuert) werden. Da ich selbst von einem längeren Spaziergang komme und infolgedessen ebenfalls eine kleine "Patina" angesetzt habe, steht mir hierüber natürlich kein Urteil zu. < Das war (nur zu Demonstrationszweckenangewandte herablassende Höflichkeit. Die Fugen in der Fassade interessieren mich in Wahrheit natürlich nicht ein bisschen, dafür aber umso mehr die Speisen- und Getränkekarte im Aushang und die Preise auf derselben. Der Aushangkarte dringt nun die gehobene Gastronomie aus sämtlichen Poren. Dazu zähle ich jedoch nicht den Umstand, dass viele der Speisen in französischer Sprache aufgeführt sind, denn schließlich sind wir in Kanada und da spricht immerhin rund ein drittel der Bevölkerung fließend französisch - nein, ein weiterer Hinweis findet sich in der Tatsache, dass bei den Getränken kein Bier aufgeführt ist und den wichtigsten Hinweis gibt das Fehlen einer weiteren Kleinigkeit: Es stehen keinerlei Preise auf der Karte.
Das ist der letzte Impuls für meine endgültige Entscheidung: Heute Abend wird diniert im O'Doul's. 

Dummerweise ist es noch nicht 17 Uhr, denn erst dann wird die Lunchkarte von der Dinnerkarte abgelöst und ich bin zum Abend- und nicht zum Mittagessen hergekommen. Etwas mehr als ein Stündchen muss also noch ins Land gehen, bevor ich meine knirschenden Beinknochen unter dem weißen Tischtuch lang machen kann. Bis dahin heißt es einmal mehr, über Alternativen nachdenken. Zielstrebig aber nur noch mit kontinentaldriftartiger Beschleunigung bewege ich mich wieder zur Burrard Street/Ecke Smithe und überfliege das Kinoprogramm des dort ansässigen Scotia Bank Theatre, finde jedoch nichts, dass mich für über 90 Minuten Filmdauer im Halbdunkel eines Kinosaals wach halten könnte (auf der Karte mit "nope" markiert) und sehe mich weiter um. Zum Glück muss ich nicht mehr weit laufen, sondern nur die Smithe Street überqueren und im "Winking Judge Pub" einkehren, wo ich ein Guiness zum Quasi-Aperitif bestelle und während ich nämliches in kleinen Schlucken genieße, die örtliche Presse studiere. In einem der Blätter bemerke ich eine subtile Demütigung unserer Kanzlerin: 
Auf einem Foto mit Sarkozy zusammen abgebildet befand man es trotz Nennung von Vor- und Nachnamen beider in der Bildunterschrift für notwendig, gesondert zu kennzeichnen, dass der Mensch namens Angela links im Bild zu sehen ist. Wenn diese kleine Gemeinheit beabsichtig war, kann ich dazu nur gratulieren...

Entsetzlich laut ist es hier und ungemütlich. Kreuzlahm und beingeschwollen wie ich bin musste ich Trottel mich natürlich auch unbedingt auf einen Barhocker setzen. Nundenn, andere Stühle waren gerade nicht frei und lange muss ich ja auch nicht ausharren - allerdings zu lange für meinen schon zum Origamikranich gefalteten Magen, deshalb beschließe ich ein wenig vor der Zeit zum Restaurant zurückzukehren und schleppe mich nach dem längeren Sitzen mehr humpelnd als gehend noch einmal (entlang der grünen Linie) die Robson Street hinauf und erreiche O'Doul's eine Viertelstunde vor Dinnertime.
Wenn man mit vom Wind zerstausten Haaren in Jeans und mit staubigen Schuhen ein hochpreisiges Restaurant betritt, kann man die Klasse desselben schon in den ersten Sekunden erkennen - an der Begrüßung. Der Barkeeper, bekleidet mit einem modern geschnittenen Anzug in anthrazit, scheint mein zerrupftes Äußeres vollkommen zu übersehen (was mit Sicherheit nicht so ist), nimmt mich offen lächelnd in Empfang und erkundigt sich nach meinem Begehr - i.O. 
Nächster Prüfstein: Ich erkundige mich mit ausgewählter Höflichkeit, ob es eventuell denk- und machbar sei, das Dinner um 15 Minuten vorzuverlegen. Wer sich in der Hierarchie von derlei Betrieben ein wenig auskennt weiß, dass diese Entscheidung mit nichten in die "Jurisdiktion" eines Barkeepers fällt. Und tatsächlich, obwohl der Laden nahezu leer ist, beantwortet er meine Frage nicht sofort, sondern zeigt mir zunächst das Restaurant und erkundigt sich, ob ich innen oder im Patio zu speisen gedenke, bevor er sich in die Küche begibt, um den Chef de cuisine zum Thema Vorverlegung zu befragen.
Ich nehme im Patio Platz und bemerke, dass der Tisch an dem ich sitze ein kleines bisschen wackelt. Als der Barkeeper mit Eiswasser zurückkehrt und mir mitteilt, dass der Chefkoch zu allem bereit ist, lege ich wie zufällig einen Arm so auf der Tischplatte ab, dass der Tisch nur ein einziges Mal sachte kippelt. Der Barkeeper verspricht, dass sogleich die Speisekarte kommen wird und fügt hinzu: "(...) sobald sich jemand um den wackelnden Tisch gekümmert hat." - astrein.

Auf den Plan tritt Kellner Nr.1 (hellgraue Servicejacke, Kummerbund). Jetzt ist es an mir, ein wenig Respekt zu zeigen. Bevor Kellner Nr. 1 sich mit dem Wackeltischproblem auseinandersetzt, das, wie er erklärt mit dem Natursteinboden zusammenhängt, erfrage ich, wie ich zum Waschraum gelange und verabschiede mich dorthin, um den Mann unbeobachtet seinen Job machen zu lassen, mir Hände und Gesicht zu waschen, die Frisur zu ordnen und die Schuhe mit feuchtem Papier ein wenig zu säubern. So erfrischt kehre ich an einen bombenfest stehenden Tisch zurück, als Kellner Nr.2 (gekleidet wie Nr.1) um die Ecke biegt, bewaffnet mit der Dinnerkarte, der Karte für die Specials und der Weinkarte. Er erklärt die Karte mit den Specials als zusammenstellbares Inklusiv-Menü mit Vor- Haupt- und Nachspeise für pauschal jeweils HUST kanadische Dollars. Tja, an einem so schönen Abend sprechen wir nicht über Geld. Preiswerte Specials dieser Art werden in deutschen Fachkreisen unter der Hand gerne auch als "Rumfort" bezeichnet - das ist nämlich alles was in der Küche "rum"liegt und "fort"muss, was keinesfalls etwas über die Qualität des jeweiligen Specials zu sagen haben muss. Schlecht wird das Zeug bestimmt nicht sein, denn ein Laden wie dieser wird sicherlich nicht, um ein paar Dollars am Einkauf zu sparen, seinen guten Ruf riskieren.
Wie dem auch sei - weder möchte ich ein Drei-Gänge-Menü, noch möchte ich heute sparen - ich gebe (schon längst wissend, was ich auswählen werde) vor, die Karte eingehend zu studieren und Kellner Nr.2 tritt ab.

Ich lächele fröhlich in mich hinein und freundlich aus mir heraus und beginne im Kopf die Durchschnittspreise des Restaurants zu kalkulieren: geschätzte 120 Plätze, davon etwa 20 im Patio mit Beleuchtung und künstlichen Wasserfällchen, mittlerweile 3 Mann Bedienung... da taucht auch schon Kellnerin Nr.3 im Patio auf (gekleidet wie Nr.1&2, nur Jacke tailliert) und erkundigt sich nach meinem Getränkewunsch. "Katsching" - In meinem Kopf klettert die Kalkulationsanzeige weiter in die Höhe. Natürlich könnte ich nach der Preisliste, bzw. einer Karte mit Preisangaben verlangen - das wäre aber zu langweilig.
Ich erkläre der Dame, dass ich noch nicht wissen kann, was ich trinken möchte, solange ich nicht weiß, was ich essen werde. Das leuchtet ihr ein. Ich frage nun (nächster Prüfstein für Klasserestaurants) was sie mir über das Rindfleisch sagen kann, speziell über das Angusfilet. Wichtig: Ich stelle keine konkrete Frage, wie z.B. "woher kommt das Fleisch", sondern ganz allgemein, was sie darüber weiß und erhalte unverzüglich und im charmanten Plauderton (es klingt nicht nach auswendig gelernt) umfassende Auskunft über die Lage der Zucht (lokaler Anbieter), sogar den Namen des Farmers, in welcher Art und wie lange das Fleisch gereift ist. Verdammtnocheins, die sind hier aber sowas von auf zack, Hut ab.
Ich ordere das Angus-Filet (medium) und frage weiter, was dazu wohl passen könnte. Sie missversteht die Frage und zählt die Beilagen auf. Ich präzisiere die Frage und höre nun zum ersten Mal das Wort "winewise". Ja, ich meinte 'weinmäßig', was im Deutschen gleichermaßen seltsam klingt. Wie aus der Pistole geschossen kommt die Gegenfrage, ob ich einen Wein aus British Columbia, im allgemeinen kanadischen Wein, oder eher australischen Wein bevorzugen würde. Konsequenterweise bleibe ich in British Columbia und sie empfiehlt zwei schwere Weine zur Auswahl. Ich nehme den Merlot. Kellnerin Nr. 3 tritt ab und meine Laune wird besser und besser und immer besser. So habe ich mir das vorgestellt zum Donnerwetter! Ich bin immer schwer beeindruckt, wenn einer sein Handwerk versteht.

Einer meiner Restaurantmarotten folgend, drehe ich die Faltung der Serviette auf links. Sie wurde gefaltet, dazu muss sie angefasst worden sein und obwohl ich keine Keimphobie oder ähnliches habe, drehe ich in Restaurants die Servietten immer so, dass die unberührte Seite außen ist. Und dabei sehe ich sie, die metaphorische Fliege in der Suppe: ein grauer, daumennagelgroßer Fleck. (undramatisch)
Kellnerin Nr. 3 erscheint wieder, mit einer Karaffe dekantierten Rotweins für genau ein Glas, das sie vor meinen Augen einschenkt. Die Serviette liegt fleckoben auf dem Tisch. Ich entschuldige mich artig für mein Schwierigsein und bitte um eine frische Serviette. Sie tut so, als hätte sie ohnehin vorgehabt, eine neue Serviette zu bringen und lacht mich freundlich an. Von diesem Moment an stehe ich unter strengster Beobachtung, da bin ich mir vollkommen sicher.
Nachdem die neue Serviette am Platz ist (blütenweiß) erscheint ein junger Mann in Kochjacke ("Katsching"), was ich eher ungewöhnlich finde, weil es hier anscheinend mehr Servicepersonal als Gäste gibt, sodass man die Küchenmenschen eigentlich nicht auch noch in den Service schicken muss. Jung wie er ist, glaube ich nicht, dass es sich um den Chefkoch handelt. Sei es wie es sei, er serviert mir als Appetizer ein Stückchen Paté vom Schwein auf einem Teelöffelchen mousse aus frischen Aprikosen, abgeschmeckt mit den üblichen Verdächtigen und Balsamessig, dazu Baguette und ordinäre Butter (kein Werturteil - ich liebe ordinäre Butter).
Bevor ich mich an dem Apetizer gütlich tue (und das mit einer Wonne, die man sich kaum vorstellen kann), teste ich den Schärfegrad meiner Beobachtung, leere mein Wasserglas mit einem großen Schluck und zähle langsam im Kopf 1, 2, 3, 4,... Als ich bei 17angekommen bin, erscheint Kellnerin Nr.3 mit der Wasserkaraffe um mir nachzuschenken und sich zu erkundigen, wie sich der Wein mit meinen Geschmacksnerven verträgt.

Du liebe Güte! Vor lauter Freude über so viel Luxus auf einen Sitz (in mir lacht alles) hätte ich beinahe den Wein vergessen. Spaßhaft schaut sie ein bisschen streng darob und verschwindet wieder. Nun bin ich weiß der Himmel kein großer Weinkenner, aber ich weiß, wie man eine unglaublich spannungsgeladene Show aus der Weintrinkerei macht. Wichtig: Wein wird nicht geschwenkt, das macht man mit Weinbrand
Man hält das Weinglas leicht schräg und bewundert die Farbe des Inhalts im Gegenlicht, aber bitte nicht wie einen Peilstab hoch in die Luft oder wie einen Sextanten ans Auge halten. Dann, wenn man das Glas wieder aufrichtet, sieht man genüßlich zu, wie sich der am Glasrand stehengebliebene Weinfilm in Schlieren seinen Weg zurück ins Glasinnere bahnt. Und dann... dann riecht man am Wein, ganz langsam und stellt das Glas wieder ab, als hätte der Geruch einen an irgendetwas erinnert. Und dann... dann riecht man noch einmal und starrt gedankenverloren ins Nichts und dann... dann trinkt man schnell einen Schluck, bevor man sich vor Lachen in die Hosen macht. Ich könnte jetzt so etwas schreiben, wie: "Der blutschwere Merlot glitt mir über die Zunge, wie Brokatsamt über die schneeweiße Schulter einer Jungfrau...", aber wir wollen den Schultern und den Jungfrauen nicht unrecht tun. Ich sags wies ist: Der Merlot ist wirklich außerordentlich lecker, ebenso wie der Apetizer. Karl May und Stanislaw Lem verbrachten übrigens auch Wochen damit über nix zu schreiben - ich mochte beide immer sehr gerne und bisher mache ich mich auch gar nicht so schlecht oder?
Ich könnte auch ununterbrochen damit fortfahren, aber die Hauptattraktion ist ja noch gar nicht in der Manege erschienen. Noch eben denke ich es, da sehe ich Kellnerin Nr. 3 durch das Portal in den Patio treten, einen rechteckigen Teller auf dem Arm balancierend, von dem ein betörender Duft in mein Näschen steigt. Pech für Euch: Ich habe angefangen zu essen, bevor ich den Teller fotografiert habe.
"Die Portion ist aber nicht so gewaltig", mag der ein oder andere jetzt vielleicht denken. Stimmt! Es heißt nicht nur zum Spaß fein Essen gehen. Das Wort hat eine Bedeutung, die absolut nichts mit der Quantität oder dem Preis einer Sache zu tun hat. Und das hier, liebe Gourmands, ist feines Essen. Die Zwiebelringe sind extra für die Sekunde aufgeschnitten worden, in der man sie in den würzigen Backteig getaucht und im tiefen Fett so ausgebacken hat, dass sie im Inneren noch schön saftig, scharf und süß und außen würzig und knusprig sind. Das Gemüse - bestehend aus jungem grünen Spargel, Prinzessböhnchen, Babymöhrchen und tournierten Kolrabistückchen - ist liebevoll blanchiert und in goldener Butter durchgeschwenkt, das Kartoffel-Selleriepüree haut mich aus den durchgeschwitzten Socken und die Sauce... DIE SAUCE treibt mir die Tränen der Dankbarkeit für meine Geburt in die Augen.

Kellnerin Nr. 4 ("Katsching"- die "Zivil"-Kleidung lässt keine Schlüsse auf ihre Postion in der Hackordnung zu) tritt zu mir an den Tisch, der ich im siebten Himmel schwebe und das Essen viel mehr in Zeitlupe lutsche als es zu kauen und erkundigt sich, wie das Fleisch schmeckt. Ich antworte mit keinem Ton, sondern lächele sie seelig an, bis sie bemerkt: "Oh, Sie haben das Fleisch ja noch gar nicht gekostet. Verzeihung. Nehmen Sie sich alle Zeit der Welt...", (was glaubt die eigentlich, was ich hier mache) "...ich werde gleich noch einmal nach Ihnen sehen." Jaja, husch husch, geh mit Gott mein Kind, aber geh.

Der große Moment ist gekommen, ich greife zum Steakmesser, das Kellnerin Nr.3 zwischendurch irgenwann gebracht hat, lege es wieder hin, nehme noch einen Schluck vom Merlot, greife wieder zum Steakmesser und schneide zärtlichst und mit Gefühl in die Kruste aus braun karamellisierten Röststoffen, durch den butterweichen Kern und es ist... durchgebraten.
Ähm... das war ein Stück vom Rand. Ich beginne mit der Zeremonie von Neuem und schneide dieses Mal quer durch die Mitte des Stücks und es bleibt dabei - es ist durchgebraten.
Damit ergibt sich für mich ein kleines Problem. Einerseits ist das nicht das, was ich bestellt habe, andererseits ist es so lecker und die Menschen sind bald im halben Dutzend so sehr um mein Wohlbefinden bemüht, dass ich schwerst mit mir selbst ringe. Da kommt auch schon wieder Kellnerin Nr.4. Sie scheint mir den inneren Konflikt von den Augen ablesen zu können und hat einen beinahe mütterlichen Klang in der Stimme als sie mich fragt: "Is everything alright with the meat". Wortlos und beinahe verlegen streiche ich mit der Messerspitze über die Schnittfläche, bevor ich dann doch anhebe zu sprechen: "Well, to be completely honest...", und mich selbst wieder unterbreche. Ich bringe einfach nicht übers Herz, es auszusprechen und frage sie stattdessen betreten: "Now what do you think?" Jetzt habe ich endgültig die Mama in ihr geweckt, obgleich sie immer noch die Distanz wahrt und die Höflichkeitsformeln niemals außer acht lässt: "Well you don't need to worry, Sir (wahrscheinlich hätte sie lieber Baby gesagt, bleibt aber Profi). We can fix that for you." Ich fühle mich nicht besonders wohl, weil "fix" (reparieren) in dem Fall "neu machen" bedeutet. Beinahe überredet sie mich dazu, den Teller zurückgehen zu lassen und ich lasse mich zu guter Letzt auch gerne überreden, allein schon wegen der vielen "Katschings". Kellnerin Nr.4 räumt den Teller ab und verschwindet.

Die Geschäftleiterin erscheint an meinem Tisch. Sie braucht keine besondere Kleidung, bei ihr sieht man ohne weiteres sofort woran man ist. Sie schenkt mir Eiswasser nach, während sie sich im Namen des Chefkochs für das Fleisch entschuldigt und versichert mir, dass das nächste Stück absolut perfekt sein wird. Ich beginne mich zu fragen, ob als nächstes womöglich John Cleese um die Ecke kommt, um sich aus Verzweiflung über das misslungene Fleisch ein großes Kochmesser in die Brust zu rammen. Weil Madam Chef nun einmal da ist, bestelle ich bei ihr noch ein Glas von dem leckeren Merlot, das, so sagt sie mir, natürlich aufs Haus gehen wird. Über alldem wird es allmählich Abend.
Ich nippe am Wasser und Kellnerin Nr.3 erscheint mit einer neuen Karaffe Merlot. Ich traue mich nicht mehr ihr einzugestehen, dass das erste Glas nicht perfekt dekantiert war. Würde sie den Inhalt der neuen Karaffe nicht so schnell in das alte Glas gießen, könnte sie noch die Schwebstoffe vom ersten Schwung am Rand kleben sehen. Sie verspricht sobald als nur menschenmöglich mit dem neuen Teller wiederzukehren.

Um kurz nach sechs Uhr ist es soweit. Nicht nur das Fleisch ist neu, auch die Beilage sind frisch und neu hergerichtet. Am Genuss hat sich nichts geändert, ich schwelge in Zeitlupe und auch die Reihenfolge halte ich wieder genau so ein und hebe mir das Beste für den Schluss auf - übrigens ganz ohne von den KellnerInnen Nr.1-4 irgendetwas gefragt zu werden. Das ebenfalls frische Steakmesser senkt sich langsam und mit viel Gefühl geführt durch die Kruste der Röststoffe durch den weichen Kern und es ist... durchgebraten... bis auf einen winzig kleinen rosa Kern, eigentlich kaum der Rede wert.
Kaum ist das Fleisch angeschnitten, nähert sich auch schon wieder Kellnerin Nr.3 (ich stehe immer noch unter Beobachtung): "How is the meat this time, Sir?" Ich setze ein Pokerface auf: "Better." Sie spürt, dass etwas nicht stimmt: "Is it better better? Or is it just hum... better." Ich bleibe bei meiner ersten Version: "It's better, thanks." Und siehe da, es wird tatsächlich noch besser! Ab etwa der Hälfte ist das Steak absolut perfekt medium gebraten. Vielleicht stimmte nur mit der Grillpfanne etwas nicht. Jedenfalls kann ich jetzt mein feines Essen noch bis zum Ende in vollen Zügen genießen, während langsam die Sonner über Vancouver sinkt. Ich tunke und stippe mit dem verbliebenen Baguette die Sauce bis zum letzten Tröpfchen auf, da erscheint noch einmal Kellnerin Nr.3 und bietet mehr Sauce an. Ich muss mich zurückhalten, um nicht auf die Knie zu fallen und um ihre Hand anzuhalten. Natürlich stelle ich ihr gegenüber auch das gepokerte "Better" noch richtig und lasse Komplimente durch sie an den Chefkoch übermitteln. 

Und was kommt zum Schluss? Die Rechnung natürlich. Was glaubt Ihr wohl, hat dieser Abend mit einem Gang in zwei Anläufen gekostet? Soviel sei dann doch verraten: Das eine Glas Merlot, das auf der Rechnung stand, hat vierzehn CAN$ gekostet. Das Essen war meiner Ansicht nach viel zu preisgünstig, deshalb gebe ich ein ordentlich ordentliches Trinkgeld. Das wird Kellnerin Nr.3 aber erst finden, wenn ich schon wieder humpelnd auf dem Heimweg ins Ghetto bin. Man mag sich vielleicht fragen, warum ich in einer der übelsten Gegenden der Stadt und in einem der billigsten Hotels absteige und dann in der Nobelgegend Westend 'massenhaft' Kohle (so viel wars auch wieder nicht) in Nobelrestaurants verpulvere. Zum einen ist dazu zu sagen, dass ich das Geld keinesfalls für verpulvert halte und zum anderen, dass ich z.B. bei der Unterkunft spare, damit ich mal so richtig schön dekadent aber auch fein essen gehen kann. Logisch, oder?

Nundenn ihr Leut, es liegen noch ca. vier Kilometer grüne Linie vor mir, die ich trotz Blasen am linken Fuß, von denen sich morgen eine entzünden wird, tapfer marschiere. Den Weg kennt ihr aber größtenteils schon, deshalb laufe ich den Rest gerne allein.