Mittwoch, 8. September 2010

SERENITY


Bei Tageslicht und in Lebensgröße betrachtet ist Richmond nicht halb die Wüstenei oder in dem Maße von allen guten Geistern verlassen, wie das etwas ältere GE-Satellitenbild mich glauben machen wollte. Streng genommen trifft das nur auf den hübsch begrünten und bewässerten Campingplatz am See zu und ich frage mich, wie viel Wasser die armen Irren hier wohl täglich in den Boden pumpen, um diese künstliche Oase am Leben zu erhalten, denn der Rest des Örtchens ist Wüstenei und von allen guten Geistern verlassen. Das ist natürlich ein bisschen ungerecht den (554) Einheimischen gegenüber, die bestimmt nicht alle miteinander verrückt sind, aber es sollte mich schon sehr verwundern, wenn Abgeschiedenheit und extreme Hitze nicht die ein oder andere Gehirnzelle in Mitleidenschaft gezogen hätten. Bei mir nordeuropäischer Weißwurst macht sich der Strahlenschaden jedenfalls recht schnell bemerkbar, denn ich vergesse hin und wieder im Dialog englische Vokabeln, die mir Stunden später, nachdem die Abendkühle eingetreten ist, plötzlich wieder einfallen. Das ist ein kleines Bisschen umständlich für die Gesprächsführung im Allgemeinen, weil Dialoge vom Mittag in der Regel am Abend in etwa so interessant sind, wie die Wettervorhersage für die letzte Woche. Zudem kommt, dass mein Englisch ganz offenbar nicht annähernd so gut sein kann, wie ich mir das bisher eingebildet hatte bzw. dass mein Akzent so unerhört sprachverschleiernd sein muss, dass die Menschen im Gespräch mit mir teilweise wirklich die Augen zusammenkneifen, als käme meine Stimme nur ganz schwach durch das Rauschen eines Wasserfalls. Es rauscht aber nichts – und schon gar kein Wasser. Jack klärt mich darüber auf, dass man hier außer an den Buschakzent an nicht viele sprachliche Varianten gewöhnt sei und dass besonders ältere Menschen (die hier in der Mehrheit sind) gar nicht erst mit schnöseligen, ausländischen Radebrechern wie mir sprechen würden. Das nenne ich einmal gute Nachrichten! Immerhin 250 Labertaschen weniger, die mir die Ohren blutig sabbeln könnten.
Das gilt aber natürlich nicht für die auf dem Camplingplatz siedelnden oder nur durchreisenden älteren Herrschaften (ebenfalls die Mehrzahl), denen es völlig gleichgültig ist, in welcher Spache man sich mit ihnen unterhält, solange es nur halbwegs nach englisch klingt (Gemeinschfaftswaschraum, Herren)
Knittriger Methusalem: "Beautiful day, don't you think?"
E: "Yes sir. It surely is."
Knittriger Methusalem: "And where did you come from, mate?"
E: "All the way from Germany."
Knittriger Methusalem: "Ah... there..." (deutet ungewiss mit dem Finger in irgendeine Richtung)
Seinem Gesichtsausdruck ist eindeutig zu entnehmen, dass er keinen Schimmer hat, wo dies ominöse Germany sein könnte. Wahrscheinlich fragt er sich gerade, ob das im Northern Territory oder in Victoria liegt, also erkläre ich, dass das in Europa ist, dass man ungefähr 24 Stunden mit dem Flugzeug bis nach Australien braucht, blablablablabla... und erlebe es zum ersten Mal auf dem Kontinent der Quasselstrippen und Kommunikationswunder, dass offenkundig ich es bin, der nach dem Geschmack seinens Gegenübers zu viel brabbelt. Jetzt mag ich den knittrigen kleinen Methusalem richtig gern und weil ich im Grunde meines Herzens ein freundlicher Mensch bin, quatsche ich ihn nicht noch weiter voll.
 

Unser Zelt, oder präziser, unsere beiden Zelte – eines zum Übernachten und ein kleineres, dessen Wände nur aus Fliegengittern besteht – stehen am Rande einer kleinen Anhöhe, von der aus wir direkt ins Buschland schauen und bis zu dem künstlich angelegten See sind es etwa 200 Meter. Als ich letzte Nacht vorerst genug vom in-die-Sterne-Starren hatte, wollte ich noch einen kleinen Spaziergang zum und vielleicht sogar um den See unternehmen, als mir aus der Düsternis eine Gruppe von seltsamen Gestalten entgegen kam, mit lauten trampelnden Schritten. Als ich mich ihnen weiter näherte, erkannte ich sie als kleine Herde von frei weidenden Kühen, die im gemütlichem Trab nur etwa zwanzig Metern entfernt, quer über den Campingplatz meinen Weg kreuzte und ich bin es eigentlich gewohnt einen Zaun zwischen mir und dem Weidevieh zu haben – wenn ich überhaupt einmal welches zu Gesicht bekomme. Grundsätzlich sind Kühe für ihr eher phlegmatisches Wesen bekannt, diese hier hatten jedoch Kälber im Schlepptau und wenn man nicht völlig von Sinnen ist, sollte man einer Mutter mit ihrem Kinde (unabhängig von welcher Spezies) im Dunkel lieber nicht zu nahe kommen und so beschloss ich meinen Spaziergang auf den nächsten Tag zu verlegen. 
Heute ist dieser nächste Tag und ich werde den versengten Teufel tun, auch nur irgendwohin spazieren zu wollen, wenn es nicht absolut lebensnotwendig sein sollte, weil die Hitze mich beinahe umbringt. Gegen 8 Uhr bin ich aufgestanden, da es zu dieser Tageszeit im Zelt schon zu warm zum Schlafen ist. Das Bild, auf dem man mich ohne schützenden Hut, in Kontemplation versunken vor dem Zelt in der direkten Sonne sitzen sieht, wurde um 8Uhr30 aufgenommen und um 8Uhr32-dreiviertel habe ich bereits den Rückzug in den Schatten des Zelts angetreten, weil Kellerkinder wie ich in dieser Mörderstrahlung ebenso langsam und gesund bräunen, wie ein Flöckchen Griebenschmalz inmitten eines Kernspaltreaktors. Hatte ich bislang etwas verächtlich über den schnellen Sonnenuntergang gewitzelt, so erscheint mir jetzt schon die Zeit bis zum Mittag überhaupt nicht mehr witzig und die Zeit bis zum angenehmen Abend einfach nur pervers lang zu sein.
Um drei Uhr Nachmittags bin ich fest entschlossen, etwas gegen die lähmende Temperatur zu unternehmen und rufe die Schutzheilige aller Hitzschlaggeschädigten an – Die Eiscremefee!
Die Eiscremefee haben, ähnlich dem Nikolaus oder dem Osterhasen, nur die allerwenigsten Menschen schon einmal wirklich und leibhaftig zu Sehen bekommen. Aber es gibt sie! Sie zählt zu den ururalten guten Geistern des Outbacks und ist so verdammt ururalt, dass selbst die Ureinwohner sie nicht kennen, weil sie leider ein "Ur" zu wenig als Vorsilbe haben. Wenn man sie jedoch kennt, darf man um keinen Preis verraten, woher man sie kennt, denn sonst kommt sie einem nie wieder zur Hilfe. Ich verrate also nix! Und ihr solltet das besser auch nicht tun...
Die Gute erhört mein jämmerlich röchelndes Flehen und schreitet zur Tat: Von diesem Moment an taucht aus dem vollkommenen Nichts täglich ein Eis am Stil für jeden von uns Dreien auf – manchmal in einer Plastiktüte bei den Tageseinkäufen, manchmal schließe ich nur für Sekunden meine Augen und schon (zischpuff) halte ich drei neue Portionen Eiscreme in der Hand. Ich glaube, ich verdanke der Eiscremefee mein Leben.

5 Kommentare:

  1. Der Sonne entgegen.. Wo genau ist das?

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  2. Wenn Du auf den großen hellgelben Ball am Himmel zuläufst, dann läufst Du der Sonne entgegen (schwieriges Konzept für Kellerkinder, ich weiß).

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  3. @Eicke Ich gehe immer der Nase nach, hauptsächlich wenn ich Hunger habe. =)

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  4. @Eicke: Ok, welches der unfassbar giftigen Tierchen da drüben hat Dich erwischt. Gib uns ein Zeichen, Bloggott!
    haiK.O.

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  5. @haiK.O. Sorry, habe Deinen Kommentar jetzt erst entdeckt, weil ich den Blog ein wenig vernachlässigt habe. Hiermit Zeichen gegeben – ich lebe und schreibe noch. Giftige Tiere hin oder her: Der Blog wird weitergehen. Ich weiß nur noch nicht wann...

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