Montag, 13. September 2010

WALLY

Der nächste Tag im gemäßigten Ouback erscheint mir noch einmal wesentlich heißer zu sein als der Tag zuvor (gemäßigt weil bewässert und begrünt). Um meinen ersten Eindruck von Richmond ein wenig zu illustrieren, hier das vormals erwähnte Satellitenbild, mit roter Umrisslinie für Campingplatz nebst See.Den dritten Tag in Folge stehe ich für meine Verhältnisse extrem früh auf, obwohl ich den vergangenen Nächten nicht mehr als vier oder fünf Stunden geschlafen habe.

Noch von meiner Schlafstatt aus beobachte ich, wie Jack in einiger Entfernung einen Plausch mit einem der Nachbarn auf dem Campingplatz hält und bekomme nicht viel von der eigentlichen Konversation mit, aber dafür umso häufiger diesen eigenartigen Laut, den man von den Australiern andauernd und überall zu hören bekommt: 'Yeah'. Sie sprechen das allerdings nicht so aus, wie wir uns das in unseren deutschen Hirnen vorstellen, sondern es klingt transponiert in deutsche Phonetik mehr wie: Jeeej (mit wenigstens zwei oder drei 'E'). Es gibt auch kleine Varianten wie „Jeee“ oder „Jeejeej“, aber grundsätzlich ist das australische 'Yeah' mindestens ebenso vielsetig einsetzbar wie das kölsche 'Dä' – zustimmend oder sarkastisch, zynisch oder nachdenklich, verträumt oder philosophisch und es hat dabei natürlich jeweils die Bedeutung der gewählten Betonung.
Bei meinen üblichen morgendlichen Vorbereitungen auf den neuen Tag und noch im Zelt, versuche ich mich nebenher in australischer Sprache – schließlich muss man sich ja ein wenig anpassen – und jeeje also etwas vor mich hin. Nach diesem 'Trockenjeejen' erfolgt ein erster Test am lebenden Subjekt und ich wage mich als Forscher-mit-Bedacht natürlich nicht sofort an einen Einheimischen, sondern zunächst an eine mir bekannte aber nicht auf das Experiment vorbereitete Versuchsperson.

E: „Bianca?“
Bianca: „Hm?“
E (freundliches aber unbestimmtes): „Jeeej.“
Bianca (zustimmend): „Jeee!“

Dä, es funktioniert. Nun hatte diese Konversation natürlich noch keinerlei Inhalt und Bianca kennt mich lange genug um zu wissen, dass ich gelegentlich zum Herumalbern neige. Deshalb muss ich, wenn ich als Forscher jemals ernst genommen werden möchte, eine Stufe weiter gehen und meine neu erworbene Fähigkeit an einem mir völlig unbekannten Subjekt erproben. Um diese Uhrzeit (8 Uhr morgens) gibt es dafür keinen besser geeigneten Ort, als den Gemeinschaftswaschraum des Campingplatzes. Ob man nun ein Morgenmensch ist oder nicht, interessiert hier absolut niemanden. Sobald man nicht mehr allein im Raume ist, wird man auch angesprochen. Ich stehe also am Waschbecken des Badezimmers und putze mir die Zähne, als ein ungefähr 50-jähriger wettergegerbter Bilderbuchaussie die Szene betritt. Er trägt, wie es sich für das Klischee gehört das, was ich als landestypische, oder männliche Nationaltracht bezeichnen würde: breitkrempiger Hut, krauser Vollbart, Poloshirt, Shorts und knöchelhohe Schnürstiefel. Nennen wir ihn doch der Einfachheit halber Roland (für seine Freunde 'Rolly').

Rolly: „G'day mate.“ (austr. Standardgrußformel für „Hallo Kumpel“)

Damit meinte er mich und hier müssen wir auch direkt einen kleinen Einschnitt machen. An anderer Stelle in der Erzählung hatte ich schon behauptet, einen starken australischen Akzent gehört zu haben, das war aber eigentlich nur ein dezenter Vorgeschmack auf das was Rolly und Konsorten so durch ihre Vollbärte brummeln. „G'day mate“ zum Beispiel klingt aus Rollys Vollbart eher wie (deutsche Phonetik) „G'dai mait“.
Es gibt in dieser Sprache massenhaft gedehnte, gebeugte und sonstwie bis zur Unkenntlichkeit entstellte Vokale, Diphtonge und es wird auch gerne ein wenig genuschelt. Dazu nehme man noch als Schalldämpfer und zur Unkenntlichmachung der Lippenbewegungen einen verfilzten Rauschebart und heraus kommt dabei eine Art westerwälder Hinterlanddialekt, nur eben unter Wasser und rückwärts abgespielt – oder anders ausgedrückt: mehrfach passiertes Linguistikpüree.
Das alles stellt aber für die mir jetzt bevorstehende Konversation nicht das geringste Problem dar, denn ich habe noch immer Zahnpastaschaum und Zahnbürste zum Mitnuscheln im Mund und weiß zudem ja nunmehr um die Macht des 'Jeeeej'. (Einschnitt Ende)

E: „M'bay fir. How ya boim?“ (Klartext: „G'day sir. How ya going?“ oder zu deutsch: „Tach der Herr. Wie läuft's denn so?“
Rolly: „(nuschel nuschel nuschel) ...mushroom... (nuschel nuschel nuschel)“. Er hält mir einen Pilz der nach Champignon aussieht unter die Nase. Ich weiß, das klingt alles nach frei erfundenen Märchen – warum schließlich sollte ein wildfremder Mann mir in der Frühe einen dämlichen Pilz in einem Gemeinschaftswaschraum präsentieren wollen – es war aber nun einmal eben genau so. Ich lasse nichts aus, ich füge nichts hinzu.
E (bedächtig/skeptisch): „Jeeej.“ Ich habe aber auch nicht den verschwommenen Schattenriss einer Ahnung, wovon Rolly gerade spricht, kann aber allein dem Klang seiner Stimme entnehmen, dass er beim Anblick des Pilzes über irgendetwas besorgt ist. Rolly eröffnet zustimmend nickend, quasi mit einem Echo meines 'Jeeej' die Fortsetzung seines Vortrages über den Pilz und nuschelt weiter. Ich tue immer noch so, als wüsste ich wo genau das Problem liegt und versuche eine phonetische Variante.
E (verständig/tiefenbrummig): „Jeee“ und Rolly scheint diese Ansicht zu teilen. Er seufzt schulterzuckend noch ein fatalistisches „jeej jeej“, wirft den Pilz in den Abfalleimer unter dem Waschbecken und verschwindet. 


Wie eine gute Freundin wiederholt festgestellt hat, macht Sonne irgendwie albern und weil ich seit geraumer Zeit schon nicht mehr so viel Sonne am Stück abbekommen habe, bin ich wohl ganz besonders albern, oder um der vollständigen Wahrheit die Ehre zu geben: Die Sonne macht mich komplettamente tutzifrutzi. Nach Beendigung meiner Morgentoilette – und vor allem nach meinem Waschraumexperiment in Sachen native-aussie-linguistics, das ich getrost als erfolgreich verbuchen darf – kehre ich also zum Zelt zurück und beschließe meine bisherige Identität (Eicke/Köln /GER/NRW) auf unbestimmte Zeit abzustreifen. Ich proklamiere für die mitreisenden Freunde feierlich, dass mein neuer australischer Name von nun an Wally sei! 


Notiz: Wally entstammt dem kleinen Örtchen Wallahwallah-Bingbong-Creek (AUS/QLD), das weitab jeglicherer Zivilisation im tiefsten Outback liegt, und außer gelegentlichen "Yaaaays" redet Wally nicht besonders viel. Tatsächlich yayt Wally in einem fort und wann immer er nur angesprochen wird – völlig einerlei, ob es gerade Sinn ergibt oder nicht. 
Wally rasiert sich nicht gerne, hat Blasen an den Füßen, Sonnenbrand (und hasst Sonnencreme) und ist vom Scheitel bis zur Sohle übersäht mit Moskitostichen. Er isst gerne noodles with mince und steht auf deutsches Bier, er liebt den Outback-Sternenhimmel, den Busch und die Wüste, verträgt die Hitze dort bei Tag aber nur in kleinen Portionen. 
Nun, eigentlich ist Wally ein unkomplizierter, entspannter und geduldiger Mensch, aber manchmal... ja, manchmal eben auch nicht... und schon deswegen wird ein niederländisch-stämmiger Australier in ein paar Tagen sogar ein kleines Gedicht auf Wally verfassen.

3 Kommentare:

  1. Schade, bei aktuell 21 °C Höchsttemperatur in Vancouver haben wir wohl nicht allzu viele neue ALBERNE Geschichten zu erwarten. :-(

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  2. Bin eigentlich albern genug - das liegt aber an der Müdigkeit (vor wenigen Min. eingecheckt) und hilft nicht beim Schreiben...

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  3. Na, immerhin heil angekommen bist Du - das ist doch schon mal was!

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