Freitag, 26. August 2011

A DAY IN A LIFE



Vor meiner Abreise nach Vancouver hatte ich einen kurzen Plausch mit meiner Schwester Wiebke, während dessen sie mich ob meiner 'Unbeweglichkeit' in Kanada ein wenig ungläubig fragte: "Drei Wochen Vancouver? Ja was machste denn, wenn Dir in Vancouver plötzlich die Straßen ausgehen?" Obgleich ich das eigentlich nicht für möglich gehalten hätte, bin ich jetzt wirklich beinahe an diesem Punkt angelangt. Ich habe zwar bestimmt noch nicht alles gesehen, was es hier zu sehen gibt, bemerke aber bei meinen z.T. ziellosen Ausflügen, dass ich manchmal mir-nichts-Dir-nichts wieder in einer Gegend ankomme, in der ich vielleicht tags zuvor, vielleicht letzte Woche schon einmal gewesen bin. Man könnte auch sagen, dass ich mich jetzt in Vancouver auskenne - zumindest was die Straßen der Stadt und mittlerweile, dank Hinkefuß, auch die öffentlichen Verkehrsmittel betrifft.
Deshalb stellt sich nach und nach eine Art Routine ein - und zwar die gute Art von Routine, weil ich mich nunmehr mit einer größeren Selbsverständlichkeit in der Stadt bewegen kann. Das bedeutet, ich muss mich nicht mehr vornehmlich auf das bloße Von-A-nach-B-Kommen konzentrieren, sondern finde quasi mit "Autopilot" mein Ziel (sofern es denn eins gibt) und habe auf dem Weg dorthin vollkommen die Augen und Ohren für all das frei, was eben zwischen A und B liegt.
Zur Routine gehört auch, dass ich jetzt zuverlässig und immer das Hotelfrühstück verschlafe. Nach dem Aufstehen (so gegen elf-halbzwölf) steuere ich zum Start in den Tag die Ecke E Pender und Main an, wo ich mir einen Espresso Machiato und ein Croissant genehmige. "Waves" heißt das Kaffee-Unternehmen und ist mit seinen beinahe 20 Filialen auf einem sehr hoffnungsfrohen Weg, Starbucks schon bald den Rang abzulaufen. Der Kaffe ist gut und das Croissant ist lustig. Das Croissant ist deshalb so lustig, weil der gemeine Nordwest-Amerikaner nicht in der Lage ist, dieses Wort auszusprechen und das wiederum ist für mich Grund genug, es wieder und wieder zu bestellen: 
E: "An Espresso Machiato and one Croissant please." 
Waiter: "Certainly Sir, the Machiato and a Croysand."
E: "No, excuse me - I meant the Croissant."
W: "Yeah sure, the Croysand."
Hachja - ein Spaß der niemals langweilig wird.

Nach dem Frühstück schlendere ich auf der Pender weiter stadteinwärts zur Mall beim "International Village", versehe mich bei seven/eleven mit einer großen Flasche Wasser und beginne dann erst mit der jeweiligen Tagesunternehmung. Um diese Zeit etwa fällt mir auch langsam der Schlaf vom Gehirn ab und ich lege meine tägliche House-Keeping-Wette fest - wird auch nie langweilig. Obwohl ich seit meiner Ankunft jeden Abend das "Do NOT disturb"-Schild von außen an die Zimmertür gehängt habe, bin ich schon mehrfach vom House-Keeping deutlich vor 9Uhr morgens aus dem Bett geworfen worden. Ich kann sehr gut verstehen, dass die Mädels gerne möglichst früh mit ihrer Arbeit fertig sein möchten, aber bitte nicht auf Kosten meines Schönheitsschlafes. Ich habe mich daraufhin sehr höflich bei der Rezeption erkundigt, ob die House-Keepers dazu angehalten sind, bei den Gästen zu klopfen. Nachmittags habe es damit schon seine Richtigkeit, erfahre ich, denn schließlich müsse man sicher gehen, dass der Gast wohlauf oder wenigstens noch am Leben sei, wenn den ganzen Tag über das Schild an der Tür nicht bewegt würde. Ich erkläre, dass ich gegen einen nachmittäglichen Weckruf bestimmt nichts einzuwenden hätte, wenn man dafür auf den morgendlichen Überfall verzichten könnte.
Seither ist wohltuend kühle Ruhe im Karton und zwar derart gründlich, dass die Mädels auch nachmittags nicht mehr klopfen. Ich habe mich einmal zufällig nachmittags im Zimmer aufgehalten und hatte vergessen, das Schild einzuholen. In den Zimmern nebenan wurde gepoltert, geräumt und gesaugt, mein Zimmer hingegen wurde völlig anklopffrei ignoriert. Aber auch wenn das Schild nicht den ganzen Tag draußen hängt, kann es sein, dass ich abends in ein unaufgeräumtes Zimmer zurückkehre. Natürlich mein Fehler. Ich habe nun einmal bei den Mädels vergeigt und deshalb spiele ich jetzt jeden Morgen mit mir selbst die House-Keeping-Wette und jedes Mal wenn ich sie verliere, geht wieder ein kleiner Beitrag in den Trinkgeldjackpot für die Room Maids, den ich am Tag meiner Abreise zurücklassen werde - ein Spiel mit Überraschungen auf allen Seiten. Heute tippe ich auf... hmmm, frische Laken. 

Nach der täglichen Startroutine mache mich heute einmal auf den Weg zur öffentlichen Zentralbibliothek und zwar nicht um mir Bücher auszuleihen, sondern weil mir der Reiseführer sagt, dass man das Ding unbedingt gesehen haben sollte, wegen der großartigen Architektuhur. Wie die weniger vergesslichen unter den LeserInnen ja bereits wissen, ist Archtiektur seit jeher eines meiner allergrößten Steckenpferde (schon wegen der Häuser und so) und deshalb kann und darf ich mir dieses Highlight selbstredend nicht entgehen lassen. Mit dem Fingerchen auf der Karte könntet ihr Euch ja inzwischen ein wenig auskennen, also fahrt doch schon mal an die Ecke W Georgia/Homer, während ich die selbe Strecke laufe. 
Dorthin unterwegs können wir ja ein wenig über Toiletten plaudern - jawohl, über Toiletten. 

Es gäbe über die ungewohnten Kleinigkeiten hierzulande, für Kleinigkeitenkrämer wie ich einer bin, wahrscheinlich ganze Bücher zu füllen - z.B. über die Fahrspuren die sowohl für Busse als auch für Radfahrer reserviert sind. Man stelle sich vor(!): Die erklärten Erzfeinde unter den Verkehrsteilnehmern werden in den selben "Lebensraum" gezwängt - als würde man säckeweise Kobras und Mungos zusammen in einen Käfig werfen, um herauszufinden, wer am Ende noch atmet. Aber auch die Ampelmännchen an Fußgängerüberwegen, die Pub-Etiquette/Kneipenkultur, die Tatsache dass ältere chinesische Damen zumeist ziemlich alberne Hüte tragen oder das unsägliche kanadische Nationalgericht in all seiner schlotzigen Pracht (bidde hier klicken POUTINE)  wären schon das ein oder andere Kapitel, wenigstens aber ein paar tausend Zeichen wert.

Besonders erwähnenswert jedoch finde ich die amerikanischen Toiletten und wir wollen doch einmal sehen, wie ich durch diese leicht schräge Nummer komme, ohne andauernd die Worte "Klo" oder "Toilette" zu wiederholen. 
Viele werden das Ding vielleicht schon aus amerikanischen Spielfilmen kennen, für alle anderen hier eine kurze Beschreibung: Im bloßen Aussehen unterscheidet sich die amerikanische Defäkationskeramik nicht von dem, was wir in Deutschland gewohnt sind, jedoch die Funktion ist (vom prinzipiellen Entsorgungszweck einmal abgesehen) ein bisschen anders. Während in unseren Schokoschüsseln nur am Grund eine kleine Wasserpfütze steht, die in erster Linie als Geruchsverschluss gegen die aus der Kanalisation aufsteigenden Fäulnisgase fungiert, steht in der nordamerikanischen Nougatschleuder ein ganzer See. Etwas weniger assoziativ erklärt: Der Wasserspiegel des hiesigen Frikadellen-Throns steht im Ruhezustand nur knapp zwei Handbreiten unterhalb des Sitzes*. Dieser Umstand hält nun einen großen Vor- aber auch ein paar Nachteile parat. 
Zunächst der Vorteil: Durch diese ca. drei Liter Wasser, mit der der Innenraum eines solchen Wurstschluckers permanent geflutet ist, haben die Feststoffe körperlicher Ausscheidungen kaum die Möglichkeit sich an den Wandungen abzusetzen - es sei denn, man hatte womöglich eine Portion flüssigen Teer zum Dinner. Und weil das so ist, gibt es hier auch keine Klobürsten (Moooment! Klobürste zählt nicht als Wiederholung! Klobürste ist ein eigenständiges Substantiv) - weder am Ort der Erleichterung selbst, noch irgendwo zum Verkauf. Dies ist eine klobürstenfreie Nation, ja womöglich gar ein klobürstenfreier Kontinent. Ein Bonuspunkt für die Hygiene.

Nun Nachteil 1: Unabhängig davon welche Sorte von Geschäft man verrichtet - 'klein' oder 'groß' (engl. analog 'number one' bzw. 'number two') werden bei jeder Spülung drei Liter Schüsselsee plus Inhalt des Spülkastens an gutem Trinkwasser in den Untergrund gejagt. Zeitgemäß?

Und zu guter Letzt der Nachteil, der besonders den männlichen Teil der lebendigen und mithin metabolisierenden Menschheit betrifft: Mann sitzt und laboriert an 'number two' - ich lasse mir dabei gerne Zeit - liest womöglich in einer Zeitung und denkt an nichts Böses. Je nachdem wie großzügig Du nun als Mann von der Natur ausgestattet wurdest und je nach Aufmerksamkeit für das eigentliche Geschäft, kann es dabei vorkommen, dass Dir plötzlich Dein primäres Geschlechtsmerkmal in der Plörre baumelt, in die Du soeben Deinen Enddarm entleert hast. (Zu viel Information? Wat willste machen... Läbbe is kein Bällchenbad...) Ich bin auch hinsichtlich der natürlichen Ausstattung lediglich Durchschnitt und doch ist mir diese ziemlich unangenehme Erfahrung mehr als nur einmal zuteil geworden.
Vielleicht ist jetzt auch klar, warum mich dieser Punkt mehr berührt hat als z.B. Ampelmännchen o.ä.... aber schau, da sind wir auch auch schon bei der weltberühmten Zentralbibliothek Vancouvers angekommen. Ist das nicht wirklich ein hübsches... Haus?

Es mag womöglich beim einen oder bei der anderen irgendwann der Eindruck entstanden sein, ich stünde dem Berufsstand der Architekten und ihrem eigentlichen Handwerk ein wenig spöttelnd gegenüber, was so nicht stimmt. Fakt ist: Ich verstehe von Architektur so gut wie überhaupt nichts, deshalb konzipiere und baue ich keine Häuser - so weit, so simpel. Schaut man sich nun in der Geschichte des prinzipiell hausbaufremden Designs im Allgemeinen und Speziellen ein wenig um, wird man immer wieder auf Architekten stoßen, die:
- Typographiesätze entwickelt haben
- Zeitschriften Layouts verpasst haben
- Karrosserien entworfen haben
- BHs entwickelt haben (natürlich war das ein Mann)
u.s.w. u.s.f. - die Liste der fachlichen Verirrungen scheint nahezu endlos zu sein.

Man könnte sehr frei nach dem veralteten Slogan für ein Frauen-Hygieneprodukt zusammenfassen: "Die Geschichte der Architektur ist eine Geschichte voller Missverständnisse." Also bitte nochmals nix für ungut liebe Architekten. An dem Tag, an dem Ihr damit aufhört anderen Handwerkern ins Handwerk zu pfuschen, höre ich damit auf Witze darüber zu machen. Wir alle wissen natürlich, dass dieser Tag niemals kommen wird, jedoch wollen wir auch alle gemeinsam dankbar dafür sein, dass ich nur Witze mache und nicht etwa auf den potentiell todbringenden Gedanken verfalle irgendwann einmal Häuser bauen zu wollen. Zur Versöhnung für die Verhohnepiepelten mache ich die Bilder von der Bibliothek ganz besonders architektionalistisch, mit kräftigen Kontrasten und Fokus auf das Bauwerk.

Nix für Akrophobiker
Das Attribut 'weltberühmt', das ich etwas weiter oben verwendet habe, war übrigens nicht übertrieben. Wenn auch nur unbewusst, werden nicht wenige dieses Gebäude schon in dem ein oder anderen Hollywoodstreifen wahrgenommen haben und es eignet sich (natürlich nicht nur) zum Filmen/Fotografieren auch wirklich ganz hervorragend. Das Bild mit der Unterschrift "Nix für Akrophobiker" habe ich im und zugleich aus dem vierten Stock geschossen. In der rechten Bildhälfte sieht man den eigentlichen Bibliothekskomplex der über schmale Stege mit kleinen Studiereckchen (zu erahnen am oberen linken Bildrand) verbunden ist. Einer dieser Stege ist oben mittig sehr gut zu erkennen (nicht vergessen: durch Anklicken kann man die Bilder in Vergrößerung anschauen). Zu erkennen ist auch, dass nicht mehr als drei Personen nebeneinander auf solch einem Steg Platz finden und weiterhin, dass die begrenzenden Geländer im Wesentlichen aus Klarglas bestehen, sodass einem dort schon ein wenig schwindelig werden kann.
Tjanun... mehr erzählenswertes von allgemeinem Interesse kann zumindest ich von diesem... (es bleibt dabei) Haus leider nicht berichten. Wie schon erwähnt, habe ich von Architektur so gut wie überhaupt keine Ahnung und das macht ja auch nichts. Gehen wir einfach weiter zur nächsten Empfehlung aus meinem Reiseführer, nämlich der:
World of Science
Ich bin ein bekennender und großer Fan der Naturwissenschaften und deshalb sollte man doch eigentlich annehmen, dass die World of Science für mich so etwas sein müsste wie ein Schuhgeschäft für Imelda Marcos. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, dass der Reiseführer den zusätzlichen Hinweis gibt, dass dies eher eine Attraktion für Kinder sei - was mich nicht schreckt, weil mich auch interessiert, wie man die Materie didaktisch transportiert. 
Kürzen wir das Thema etwas ab und halten fest: Dies ist eine Attraktion ausschließlich für sehr kleine Kinder. Ich merke recht schnell, dass ich in dieser Wissenschaftswelt komplett fehl am Platz bin und haste nach 23 Dollar Eintritt durch die Austellung mit der Geschwindigkeit von etwa einem Dollar pro Minute. Das für mich interessanteste Exponat war die offene Deckenverkleidung am Eingang, die auch weite noch im Bau befindliche Teile der Ausstellung repräsentiert. Nicht schlimm, Schwamm drüber, abhaken, weiter im Text. 
Ich befinde mich ganz in der Nähe der Skytrain-Station Main Street, wo ich mir von einer wunderhübschen jungen Frau namens Trisha den Ticketautomaten erklären lasse, bevor ich mit der Bahn ein paar Stationen zurück in Richtung Waterfront (also Downtown) fahre. Skytrain nennt man hier die Straßenbahn, weil es viel toller klingt als 'Straßenbahn' und weil es zum Großteil eine Hochbahn ist. Und (ganz unter uns) den Ticketautomaten hätte ich mir eigentlich auch nicht erklären lassen müssen...
Jetzt tritt beim Weiterschlendern der anfangs beschriebene Effekt ein: von Downtown bin ich ruckzuck in Gastown und ruckruckzuckzuck in Chinatown, obwohl ich auf immer anderen Wegen laufe. Und besonders kurios, nachdem ich die südlichste Ecke von Chinatown erreicht habe, stelle ich fest, dass ich wieder in unmittelbarer Nähe der Skytrain-Station Main Street gelandet bin. Natürlich nimmt der Weg etwas mehr Zeit in Anspruch als seine Beschreibung.

Für heute gibt es nur noch ein Ziel: Phnom Penh, ein vietnamesisch-kambodschanisches Restaurant auf der East Georgia, das über die Grenzen Vancouvers hinaus wegen seines guten und preigünstigen Essens bekannt geworden ist. Ich bin schon zweimal dort gewesen und immer wieder unverrichteter Dinge abgezogen, weil der Laden jedes Mal gerammelt voll war. Auch heute verhält es sich nicht anders, obwohl ich ziemlich genau die Zeit zwischen Lunch und Dinner abgepasst habe. Heute bleibe ich jedoch standhaft und warte darauf, dass ein Platz frei wird. 
Eine der Bedienungen führt mich schließlich an einen Tisch mit acht Plätzen, von denen fünf besetzt sind. Kurze Zeit später nuckele ich an einem grünen Tee, der gratis aus- und nachgeschenkt wird und die abgegessene Fünfer-Gruppe verabschiedet sich von meinem Tisch, sodass ich jetzt alleine an einem Achtertisch inmitten eines proppevollen Restaurants sitze. Mir ist das aber alles Wurscht, ich habe nur noch Hunger. So Ihr lieben Menschen, beschäftigt Euch mal mit etwas anderem, damit ich in Ruhe essen kann. Jaja ich weiß, ich bin Euch noch eine ganz andere Unternehmung schuldig - die bei der ich meinen Fuß nicht so sehr viel bewegen muss. Die habe ich kurzer Hand verschoben, weil sie wetterabhängig ist und das Wetter zwischenzeitlich ziemlich durchwachsen war. Außerdem ist mein Fuß jetzt wieder vollständig genesen und ich müsste ihn eigentlich nicht mehr schonen.
Trotzdem wird diese Unternehmung angegangen und das komplette nächste Kapitel ausfüllen - dieses Mal sogar mit einem kleinen Filmchen...

Heute war es mal nicht ganz so spannend, sondern eben nur A DAY IN A LIFE. Morgen wird es dafür umso aufregender. 
Jetzt aber ersma Mahlzeit!


* in der Standard-Ausgabe. Es gibt durchaus auch modernere Stuhlgangstühle, die mit weniger Wasser auskommen.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen