Dienstag, 17. August 2010

INFLIGHT (I)


Gut nur, dass ich nicht vorher schon gewusst habe, wie verdammt eng es in so einer 747(Modell -400) ist, sonst hätte ich mein Ticket längst schon wieder zurückgegeben und mir von der Kohle ein Ruderboot gekauft, um damit eigenhändig nach Australien zu paddeln. Ich hätte dann zwar nicht die Annehmlichkeiten von z.B.einer Reisegeschwindigkeit von rund 1000 km/h, Bordkino und Bedienung durch FlugbegleiterInnen, aber dafür wäre ich verdammtnocheins der Captain an Bord. Außerdem erscheinen mir sowohl die Beinahe-Schallgeschwindigkeit als auch FlugbegleiterInnen im Allgemeinen weit überschätzt zu sein.
Dann wäre da noch die Sache mit den Balken: Ich weiß sehr wohl, dass Luft im für uns gewohnten Aggregatzustand keine Balken hat – nunja, eigentlich ist das kompletter Unsinn, da sich die meisten Balken ihrerseits nicht im Vakuum befinden und also 'Luft haben'. Tja, wer hat da nun eigentlich wen? Luft Balken oder Balken Luft? Irrelevant.
Worauf ich hinaus wollte ist, dass sich hier im Augenblick aber auch gar nichts nach 'hochaerodynamischer Ingenieurskunst' und 'geschmeidig durch die Atmosphäre pflügen'  anfühlt, sondern eher als säße ich auf einem schlecht gefederten Traktor, dem zuvor sämtliche Reifen geplatzt sind, was den Bauern der das Ding fährt aber nicht davon abhält, weiter über die Strecke mit den alten Bahnschwellen zu rattern. Nun, einen weiteren kleinen Komfort-Unterschied gibt es zwischen den beiden Vehikeln dann doch: Ein Traktor ist  einfach wesentlich leiser...
Der Onkel macht natürlich nur Witze – tatsächlich habe ich gerade einen Monsterspaß, obwohl es anfangs ein wirklich ziemlich holperiger Flug war. Beim Essen habe ich mir dank der Rüttelei ungefähr die Hälfte der Tomatensaucen-Spaghettis in den Schoß gekippt und von einer Art 2-Komponenten-Experiment einer Salat-Vinaigrette aus der sogenannten squeeze box habe ich mir etwa ¾ der Essigkomponente über den Ärmel gespritzt und finds einfach nur lustig, aber beginnen wir doch besser mit dem Anfang.
Tatsächlich war die letzte halbe Stunde vor dem Start etwas weniger witzig für einen Teilzeit-Phobiker wie ich einer bin. Diese Möchtegernphobie ist bei mir – wie bei vielen anderen Menschen auch – nur so etwas wie eine etwas längere und unangenehme Adaption an eine ungewohnt beengte Situation, wie z.B. ein volles Passagierflugzeug. In dieser Phase gibt es nur eins was hilft, nämlich Aushalten. Wenn man Pech hat, dauert es dann Stunden bis diese Mischung aus Übelkeit und starkem Wunsch nach Flucht endlich nachlässt, aber so schlimm hatte ich das schon lange nicht mehr – und so schlimm wurde es auch dieses Mal nicht. Das unangenehme Gefühl verschwand in dem Augenblick, als die dicken Rolls Royce Jet-Motoren endlich anliefen und die Sitzfläche unter meinem Hintern begann an selbigem zu kribbeln.

***
Ich sitze ziemlich direkt hinter der rechten Tragfläche, sodass ich freie Sicht auf die Turbinen und die Flaps habe. Schon im Leerlauf werden die Pfützen auf dem Taxiway vom Abgasstrahl erst schlagartig leer gepustet und dann der Asphalt innerhalb weniger  Sekunden vollständig abgetrocknet. Auf dem Runway gibt es kurzzeitig vollen Triebwerksschub und ich glaube bei genau solch einer Gelegenheit muss die Vokabel „Rappelkiste“ geboren worden sein.
Die Rappelkiste rüttelt sich und schüttelt sich und wirft die Beinchen hinter sich (sehr richtig erkannt, genau wie der Bibabutzemann)... Ich beiße unweigerlich die Zähne zusammen, zwischen denen zum Glück ein Kaugummi steckt (Memo: Vor künftigen Flugreisen immer ein Päckchen Kaugummis einstecken – an dieser Stelle Dank an die Zauberfee).
Entgegen meiner Vermutung, dass diese übergroße Zahnpastatube-mit-Flügeln-dran im nächsten Moment eine breite, scheppernde Spur von abgeplatzten Bolzen und Nieten hinter sich herziehend ihre Triebwerke abschüttelt, die sodann ohne den Rest der Maschine nach Australien fliegen, hebt sie tatsächlich in einem Stück ab, neigt sich kurz darauf schwerfällig in eine Linkskurve und steigt, der Massenträgheit meiner Gedärme entgegen strebend, immer weiter auf.
Der Anfang ist schon einmal geschafft. Hatte ich bislang eigentlich schon erwähnt, dass dies meine erste Reise in einem Passagierflugzeug ist?

Der Vergleich mit der Zahnpastatube mag dem ein oder anderen überspitzt vorkommen – zu Unrecht. Nicht nur die Formen der beiden ähneln einander in Ansätzen, auch sind die Außenhüllen beider aus nur wenige Millimeter dickem Aluminiumblech gefertigt. Nunja, modernere Zahnpastatuben werden natürlich aus Kunststoff gemacht... Bitte! Dann nehmen wir eben eine Tomatenmarktube für den Vergleich her. Und wenn so ein voll besetztes Flugzeug erst einmal vom Himmel stürzt, ähnelt sogar sein Inneres spätestens beim Aufprall irgendwie einer Tomatenmarktube....

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