Dienstag, 14. September 2010

FOSSICKING WITH THE RIPPENPOOFES

Es hat sich zunächst nur allmählich, fast unmerklich eingeschlichen und ist mit der Zeit zu so einer Art schmerzhaftem Running Gag geworden: Fast immer wenn die von Wolken unverhüllte Sonne im Zenith steht – Hitze und Strahlung also am schädlichsten sind – und man sich eigentlich nur einen gnadenvollen Hypothermietod in der Arktis wünscht, kommt jemand auf die glorreiche Idee irgendetwas zu unternehmen. Und das wird heute, so ist es bereits beschlossen, Fossicking sein. 

'Fossicking' ist das englische Partizip des deutschen Verbs 'stöbern', kann aber sinngemäß auch für 'Ausgrabung' stehen. Der Campingplatz und mithin Richmond liegen nicht nur mitten im Buschland, sondern auch an Australia's Dinosaur Trail – so zumindest wird es von der örtlichen Touristikstelle (Kronosaurus Korner), die gleichzeitig als Museum fungiert, bezeichnet und soll entweder kleine Kinder erschrecken, oder einfach nur ein wenig nach Marketingkonzept klingen. Ich erkenne schon bald: beides funktioniert. Marketing hin Marketing her – vermittelt werden soll, dass vor einigen Millionen Jahren diverse Viecher in dieser Gegend lebten, die längst schon ausgestorben sind, von deren früherer Existenz aber heute noch ungewöhnlich zahlreiche und überraschend leicht zu entdeckende Fossilien zeugen.

Weil man nun mit 1:1-Modellen von Dinosauriern das Mesozoikum bzw. Paläozoikum weit eindrucksvoller illustrieren kann als mit diesen ganzen griechisch-lateinischen Nase-Hoch-Worten und weil Modelle natürlich marketingtechnisch viel mehr hermachen als doofe Klugscheißereien und weil man mit ihnen auch kleine Kinder viel besser erschrecken kann, hat sich die Kronosaurus Korner das lebensgroße Modell eines (Trommelwirbel) Kronosaurus vor die Tür stellen lassen. Das Ding sieht aus, wie das Ergebnis der fruchtbaren Begegnung eines Krokodils mit einer Seekuh und außer den kleinen Kindern, die sich ängstlich plärrend einpullern, erkennt jeder auf den ersten Blick, dass es sich bei diesem Modell weder um Seekuh, noch um Krokodil handeln soll. Außer der ungewöhnlichen Form helfen bei der Schnellidentifikation zur ausgestorbenen Spezies zum Großteil wahrscheinlich auch die schieren Ausmaße dieses Seedils / der Krokokuh (mit kleinen Hypophysenproblemchen). In das weit aufgerissene, mit spitzen Kunststoffzähnen bewehrte Maul der Ungestalt passt bequem ein ausgewachsener, aufrecht stehender Mann mit einem wirklich hohen Hut auf dem Kopf und dazu nebendran noch seine vierköpfige Familie (nicht ganz so groß und ohne Hüte). Als Hingucker funktioniert das Modell jedenfalls ganz und gar prächtig.

Wir betreten das flache Gebäude des Kronosaurus Korner Museums / der Touristeniformation, um uns über die Freigaben und Beschränkungen des in der näheren Umgebung für die Allgemeinheit ausdrücklich erlaubten Fossickings zu erkundigen. Entgegen der landläufigen Auffassung, dass das Herumrennen-und-Sachen-Ausbuddeln auf öffentlichem Boden ein lustiger und legaler Spaß für jedermann ist, braucht man doch für solch ein Unterfangen nicht nur in Australien fast immer eine Genehmigung von amtlicher Seite. Ich weiß nicht wie, wo oder warum irgendwann einmal der Merksatz "Wer es findet, darf es behalten" aufkam und werde schon gar nicht darüber urteilen, denn zum Glück muss man sich am Dinosaur Trail nahe Richmond nicht mit derlei ethisch-moralischen Erwägungen herumplagen. Ethik und Moral sind ohnehin Worte, die ich bei der verdammten Affenhitze noch nicht einmal denken kann und ich fühle mich beim Betreten des Gebäudes nicht weniger, als am ganzen schweißtriefenden Körper in ein zärtliches Wilkommensflüstern gehüllt, weil es hier drin offenbar eine (jauchzet und frohlocket) Klimaanlage gibt. Was für eine unerhörte Wohltat! Der Himmel segne Kronosaurus Korner, den Erfinder des Wärmetauschers und den örtlichen Energieversorger! Ich denke einen Moment lang darüber nach, auch den Rest des Tages hier zu verbringen.

Eine rundlich-freundliche Dame am Empfangstresen weist uns anhand einer kleinen Straßenkarte den Weg zum Fossicking-Gelände, das nur ein paar Kilometer enfernt im Busch gelegen ist und in dem wir ganz normalen Fritzens, Franzens und Wallies nicht nur nach herzenslust herumbuddeln, sondern sogar das zutage Geförderte behalten dürfen. Außerdem stellt sie uns eine grobe Datierung der dort womöglich gemachten Funde in Aussicht. Ich kann allerdings hinter ihrem Empfangstresen nirgendwo Instrumente zur Radiokarbondatierung sehen und vermute, (obwohl ich gewiss kein Geologe bin) dass ich eine derartig grobe Datierung auch selbst vornehmen könnte – mit einer Toleranz von ungefähr 200 Millionen Jahren... Das mag zunächst einmal schrecklich ungenau klingen, man darf dabei aber nicht vergessen, dass der Planet Erde geschätzte vier Milliarden Jahre alt ist und dass auch ich keine Gerätschaften zur Radiokarbondatierung mit mir führe. Wir werden aber späterhin noch erfahren, was die nette Tresen-Dame in Sachen Datierung so alles auf dem Kasten hat.
  
Bei der Ankunft  an der "Ausgrabungsstätte" mit dem Auto, zeigt sich einmal mehr meine dämlich deutsche Erwartungshaltung zu gewissen Dingen.  
Touristische Ausgrabungsstätte: Vielleicht geht es nur mir so, aber ich dachte dabei eigentlich an ein eingegrenztes Gelände mit einer gut sichtbaren Einfahrt, an der man ein paar Dollars Eintritt zahlt, ein Eimerchen und ein Schäufelchen in die Hand gedrückt bekommt und dann drauflos buddeln kann – also nicht gerade Disneyland, aber eben einfach so etwas wie ein... tja, ein Irgendetwas.

Die gute Nachricht ist: Eintritt muss man nicht bezahlen. Die keineswegs schlechte-, aber immerhin irritierende Nachricht ist: Hier ist absolut nichts und niemand, das oder der diese "Ausgrabungstätte" als touristisch erschlossene Attraktion kenntlich macht. Am Highway steht boß ein handbemaltes, ein wenig traurig und vergessen wirkendes Holzschild mit der Aufschrift 'Fossicking' und einem Pfeil darauf, der geradewegs in den Busch abseits der Straße weist. An dieser Stelle würde ich den Begriff 'Busch' gerne gegen das Wort 'Wüste' eintauschen, weil von Vegetation nur noch in Ansätzen die Rede sein kann. Wenn ich auch schon in einem vorigen Kapitel behauptet hatte, dass mich die Sonne komplett tutzifrutzi gemacht hat, war das offensichtlich noch nicht komplett und nicht tutzifrutzi genug. Ab sofort ist in diesem hübschen Fossicking-Wüsten-Backofen für Weißkäse richtig Gehirnkirmes angesagt und dieser Ballaballa-Hitzepfeil trifft nicht nur mich Weißkäse allein. 

Die Touristen, die sich womöglich nichtsahnend und unvorbereitet zum Buddeln an dieses unmalerische Fleckchen Erde begeben, sehen als erstes meterhohe Stein- und Staubhaufen und als nächstes ganz schön dumm aus der Wäsche, weil sie eben keine Schäufelchen und Eimerchen in die Hände gedrückt bekommen haben, und also auch nichts zum Buddeln haben, außer vielleicht ihre Fingernägel und Zähne. Es gibt auch hie und da ein paar vetrocknete Äste, mit denen man vielleicht auf die Steinhaufen einprügeln kann, das wars dann aber auch schon mit Fossicking. Nun haben wir aber zum Glück einen Jack bei uns und der
wiederum hat fast immer Werkzeug bei sich... nunja, er geht nicht mit dem Schraubenzieher aufs Klo, oder mit der Tischkreissäge zum Kühlschrank, aber er hat einen gut bestückten Werkzeugkasten im Wagen, in dem sich unter anderem zwei Hämmer* befinden. Die eignen sich zwar nicht unbedingt zum Graben, aber ich glaube, so war das mit dem Fossicking auch gar nicht gemeint, sondern dazu sind tatsächlich die Steinhaufen aufgeschüttet worden. Vielleicht ist das aber auch einfach nur die Abraumhalde von der nahe gelegenen Mine ("Chef, was sollen wir mit den Steinen hier machen?" - "Hmmm, kippt sie da hinten in die Wüste und stellt ein Schild an die Straße mit der Aufschrift 'Fossicking'.")
Ich nehme mir einen etwa pizzagroßen Steinbrocken und hämmere ein bisschen darauf herum. Da ich immer noch kein Geologe bin, weiß ich auch nicht, was für eine Sorte Stein das ist, aber soviel kann ich auch als Laie erkennen: Es handelt sich um geschichtetes Sedimentgestein, was darauf hindeutet, dass wir uns hier auf ehemaligem Meeresboden befinden. Nun lässt sich der Stein sehr leicht aufklopfen und siehe da, schon bin ich fündig geworden. Im Inneren einer Schicht erkenne ich zwei fingernagelgroße, versteinerte Muscheln. Junge, das war einfach, also klopfe ich gleich den nächsten Stein auf – Ergebnis: winzig kleine, versteinerte Muscheln. Nächster Stein: Minimuscheln. Doll! Wir stehen auf einer versteinerten Muschelbank. Jack ist aus irgendeinem Grund wie entfesselt und klopft mit dem anderen Hammer auf die Steine ein wie ein Zwangsarbeiter, der sich für Fleißarbeiten eine Extraportion Wackelpeter zum Nachtisch erhofft. Ich übergebe nun meinen Hammer feierlich an Bianca, die sich auf einen der Steinhaufen hockt und mal hierhin und mal dorthin hämmert, bis sie ein Steinklümpchen von der Größe einer Haselnuss in der Hand hält und andächtig erklärt: "Look, I've found a mammoth." Mit gespieltem Kennerblick betrachte ich das Mammut in ihrer Hand und kann nicht anders, als ihr unbedingt beizupflichten. Bei dem ungeheuren Druck, den das Sediment über Jahrmillionen auf das Mammutskelett ausgewirkt hat, ist es kein Wunder, das es nurmehr auf das Volumen eines seiner eigenen Zähne zusammengschrumpft ist – darüber sind wir uns vollkommen einig.
Jack ist mittlerweile außer Sichtweite. Man kann aber noch das unverzagte Wüten seiner Hammerschläge auf unschuldige Steine hören. Um sich selbst ein wenig Schatten zu spenden, hat Bianca einen Regenschirm aufgespannt und erklimmt somit neu ausgerüstet den nächsten Steinhaufen, um nach ihrem Mann zu sehen. Bei diesem Anblick entscheide ich, dass jemand der so aussieht – mit dem Hut, der Brille und mit verbogenem, aufgespanntem Schirmchen in der Wüste herumstolpert – unmöglich Bianca So-und-so heißen kann. Das ist mir schlicht zu profan (außerdem Gehirnkirmes). Fortan reise ich also nicht mehr mit Bianca und Jack durch das Outback, sondern mit Lord und Lady Rippenpoofe (britischer Landadel), die ihre Ländereien in der früheren Heimat aufgegeben haben, um sich in Australien der Archäologie zu widmen. Der Lord ist mittlerweile zur Gänze mit der Umgebung verschmolzen und Steinstaub klebt am Schweiß seiner nackten Unterarme und Beine. Wer das Foto in der größeren Ansicht betrachtet, kann ihn mit etwas Mühe hinter dem Steinhaufen herumfuhrwerkend entdecken, auf dem Lady Rippenpoofe so bemerkenswert graziös posiert.

Die Sonne setzt mir jetzt derartig zu, dass ich mich für die übrige Dauer der Grabungen ins Auto verkrümele und Wasser in mein System nachfülle. Ein wenig später macht Lady R. wahrhaftig noch einen Fund, der zumindest ein bisschen aufregender ist als versteinerte Minimuscheln, nämlich handtellergroße, versteinerte Muscheln – zwei an der Zahl, die zum Zeitpunkt Ihres Ablebens aufeinander gelegen haben müssen und in dieser innigen Stellung ein hübsches Muster für die Ewigkeit ins Sediment gepresst haben. Wir machen uns mit dem Wagen auf den Rückweg zur Kronosaurus Korner, um die rundlich-nette Tresendame nach dem mutmaßlichen Alter der Fossilien zu befragen. Anstelle einer direkten Auskunft erhalten wir von ihr die Fotokopie einer Zeittabelle, auf der verschiedene Arten von Fossilien in ihrer jeweiligen Ära abgebildet sind. Die Muscheln der Lady haben dieser Tabelle zufolge in einem Zeitraum von vor etwa 60 bis 260 Millionen Jahren gelebt... was einer zeitlichen Toleranz von rund 200 Millionen Jahren entspricht. Ich schätze einmal, ich kann mich getrost um eine Stelle als Tresenwally bei Kronosaurus Korner bewerben.

* Warum hat eigentlich ein Mensch zwei Hämmer im selben Werkzeugkasten? Ich habe noch nie jemanden beidhändig Hämmern sehen... Ich werde ihn bei Gelegenheit danach fragen müssen.

1 Kommentar:

  1. Die Antwort ist einfach - ein Hammer ist immer im Auto, der andere Hammer ist immer in der Werkzeugtasche. Campen bedeutet Werkzeugtasche ins Auto, macht zwei.
    Lady Rippenpoof, die die obigen Gegebenheiten bezeugen kann :-)

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