Dienstag, 7. September 2010

RICHMOND AT NIGHT


Obwohl ich nicht im Besitz einer internationalen Fahrerlaubnis bin, übernehme ich das Steuer für den letzten kleinen Abschnitt der Fahrt, von Hughenden nach Richmond*. Das sind etwas mehr als einhundert Kilometer und nach hiesigen Maßstäben also in etwa der Weg von der Haustür bis zum Tabakladen an der Ecke. Tatsächlich berichtet mir Jack, für einen Kaffeeklatsch bei Freunden schon einmal wesentlich weiter gefahren zu sein. Außer uns ist kaum ein Mensch unterwegs, der Straßenverlauf ist immer noch schnurgerade – beste Voraussetzungen also, sich an das Fahren auf der anderen Straßenseite zu gewöhnen.
Ich werde angewiesen in der pechschwarzen Dunkelheit unbedingt aufmerksam nach kleinen, reflektierenden Augenpaaren Ausschau zu halten, denn noch weit gefährlicher als die Kühe am Tag sind die Skippies bei Nacht. Als Skippy bezeichnet man umgangssprachlich jegliche Art von Känguru vom Paddy Melon bis zum Roten Riesenkänguru und besonders unglücklich für die Skippies nahe des Highways ist, dass sie ein wahrhaft verhängnisvolles Interesse an den sich merkwürdig rasch bewegenden Lichtern auf dieser eigenartig heißen, versteinerten Sandbahn haben. Aus purer Faszinaton für die Erscheinung hopst Skippy also gerne unvermittelt in den Lichkegel und verharrt dort, um die Angelgenheit aus nächster Nähe betrachten zu können, bezahlt seinen Forscherdrang mit dem Leben und reißt dabei, ohne das zu beabsichtigen, womöglich ein paar überraschte Menschen mit ins Unglück, die sich beim Versuch dem Hoppler auszuweichen mitsamt Fahrzeug überschlagen. Ich scherze an dieser Stelle etwas bitter über die Tode vieler unschuldiger Kreaturen, zum Lachen ist mir dabei allerdings nicht. Bei Tageslicht sieht man nicht selten die Resultate jener fatalen Begegnungen in Form von Skippy-Kadavern, die am Straßenrand blutig, verrenkt und zerfetzt vor sich hin verwesen. Eine australische Autoversicherung beziffert diese Vorfälle mit 20000, die Tierschutzvereinigung Kangaroo Protection Coalition hingegen geht von mehreren Millionen getöteter Tiere aus, jährlich. Mit allem gebotenen Respekt als völlig unwissender Ausländer und tumber Tourist zweifele ich beide Angaben etwas an, da eine große Anzahl der Unfälle mit Kängurus eingedenk der bulligen Stoßfänger an vielen Autos keinen Eingang bei der Versicherung finden werden und Schutzvereinigungen gerne ein bisschen kräftiger an der Sirenenkurbel drehen. Die Toleranz um die Wahrheit schwankt demnach wahrscheinlich – den Bezugswert der Versicherung als Kalkulationsbasis verwendend – im Bereich von einigen tausend Prozent. Tjanun, das Land ist groß und solange es keinen Mangel an Kängurus zum Plattfahren gibt, wird es wohl auch keine eingehenderen Untersuchungen zum Thema geben.
Weil das Glück nur allzu häufig mit den tumben Touristen ist, hoppelt mir kein einziger Skippy ins Scheinwerferlicht und wir überstehen die Fahrt völlig zwischenfallsfrei. Wie auch schon das zu Fuß gehen in Sydney, hält das Autofahren in downunder mehr Schwierigkeiten parat, als einfach nur auf der linken Seite zu bleiben und als erstes immer nach rechts zu schauen. So sind zum Beispiel die Bedienelemente am Steuer (aus meiner Sicht) spiegelverkehrt angebracht, sodass ich ein- oder zweimal den Scheibenwischer an Stelle des Blinkers betätige. Das Gaspedal hingegen ist immer noch rechts angebracht, diese Kleinigkeiten sind jedoch nicht auf Dauer oder sonderlich verwirrend. Das größere Problem stellen einmal mehr die festgestampften Pfade meiner Gewohnheiten dar, die mir permanent einflüstern, obwohl ich mich jederzeit visuell vom Gegenteil überzeugen kann, dass sich der größere Teil der äußeren Fahrzeugabmessungen zu meiner Rechten befindet. Ich fahre also sozusagen zwei Autos gleichzeitig – ein reales, das den Fahrersitz rechts hat und ein eingebildetes mit dem Fahrersitz links. Nun wäre dieses Problem wahrscheinlich kein allzu großes, wenn wir uns auf einer deutschen Autobahn in der Nähe von Frankfurt am Main befänden, dies ist jedoch ein Highway durch den australischen Busch bei Buyabra Creek, mit jeweils einer vergleichsweise schmalen Fahrspur in jeder Richtung und alle Jubeljahre einer kurzen Überholspur. Ich muss mich also gewissenhaft auf den Mittelstreifen konzentrieren, mich an ihm entlang hangeln. Klingt ein bisschen dramatisch, aber nach zehn Minuten habe ich mich angepasst und erfreue mich an der Cruise Control, im Deutschen besser als Tempomat bekannt. Der Wagen beschleunigt nach jeder Bremsung von alleine auf die voreingestellte Endgeschwindigkeit, am Lenkrad muss man fast gar nicht drehen, ja eigentlich fährt sich die Kiste wie von selbst und ich glaube, die vormals beschriebenen und scheinbar unnützen Kürvchen, dienen hauptsächlich dem Zweck die Fahrer vor dem Einschlafen zu bewahren. Von der Spur abzukommen bedeutet hier nicht etwa über die Standspur in die Leitplanke zu fahren und mehr oder minder sanft davon abzuprallen, denn sowohl Standspuren als auch Leitplanken gibt es einfach nicht. Ende der Fahrbahnbegrenzung = Holterdipolter ^ Busch ^ Baum ^ Krachbumm ^ Tod. Straight forward and fair dinkum (s. Fußnote vorheriger Beitrag). 
Nach der schier endlos erscheinenden und nicht immer unterhaltsamen Fahrt erreichen wir den Campingplatz beim See in Richmond in völliger Finsternis gegen 9Uhr30 und ich wette, besonders der ungeduldige Leser ist darüber genau so erfreut wie ich. Glückwunsch ungeduldiger Leser, jetzt heißt es erst einmal Beinchen strecken, Pipi machen und dann geht's auch schon an's Zelt aufbauen.
Das Zelt ist mannshoch auf einer Grundfläche von 2,5 x 5m und hat erfreulicherweise zwei getrennte Kammern. Das hat zwar rein akustisch so gut wie gar keinen Effekt, jedoch haben meine verheirateten Gastgeber und ich immerhin das Gefühl von Privatsphäre und das ist eine ganze Menge wert. Bevor meine beiden Begleiter und Hardcore-Party-Animals wieder um viertel nach zehn in den Tiefschlaf fallen, bauen wir noch einen Campingtisch und ein paar Stühle vor dem Zelt auf, essen eine Kleinigkeit, trinken mitgebrachtes Bier aus der Eisbox, ich starre fassungslos in den glasklaren Sternenhimmel und bedanke mich bei den zweien mindestens drei Mal dafür, dass sie mich hierher gebracht haben. DAS macht alles wett. Dieser Anblick macht mich mit offenem Mund ins Firmament starren und lässt mich die Anreise im Auto, die Flugreisen und die Säcke voll Geld, die mit alldem verbunden sind, die Genickstarre und die Moskitostiche, die ich mir gerade einfange und den gesamten Rest der Welt komplett vergessen. An Beschreibungen über den Sternenhimmel der südlichen Hemisphäre und speziell aus dem nächtlichen Outback haben sich schon Scharen von sprachlich gewandteren Menschen als ich versucht und sind nach meinem Dafürhalten und persönlicher Betrachtung alle miteinander dabei gescheitert – ich werde also nicht den selben Fehler machen und lege stattdessen jedem der das liest dringend ans Herz: Kommt her und schaut es Euch selbst an.
Stunden nachdem die besagte Hardcore-Party-Animal-Fraktion unserer kleinen Reisegruppe schon längst ins Zelt und mithin ins Land der Träume entschwunden ist, sitze ich noch immer auf meinem Faltstuhl und starre in den Himmel. Später werfe ich vielleicht noch einmal das Netbook an und mache ein paar Notizen offline, denn wir sind hier nicht nur von WLAN-Access, sondern auch von Mobilfunknetzen und sogar stinknormalem Radioempfang vollkommen abgeschnitten. Diejenigen unter Euch, die mich ein bisschen kennen wird das vielleicht überraschen, aber das Abgeschnittensein stört mich nicht im Geringsten weder jetzt, noch in den kommenden Tagen im Outback.

*Dear Australian law enforcement officers, of course I know driving a car through your wonderful country without a valid drivers licence would surely match a harsh contravention. So please look at the following lines above as a product of my blooming imagination. It never really happened. In fact I have never left the balcony in cairns and have never been to the outback. Thanks for your time and your attention.

2 Kommentare:

  1. Just in case:
    Dear Australian law enforcement officers,
    whatever you claim Eicke from Germany guilty for: He isn’t even in Cairns on a balcony nor in Australia at all. He is lying in his bed in Cologne having a marvelous psychedelic experience, and you are just part of his blooming imagination. So don’t worry if you arrest him – just let him go. This is not real. Go home, have a beer and don’t worry.

    Da nich für, Ernesto

    AntwortenLöschen
  2. Hey Eicke, auch manch "offizielle" Nachricht aus Down-Under dringt bis in unsere Breiten durch. Und da ich den Ort 'Cairns' noch aus Deinen (stets sehr unterhaltsamen Reisebeschreibungen) im Kopf hatte, habe ich schon befürchtet, dass sich die Tatzeugen beim Geschlecht komplett und beim Alter des Opfers ein klitzekleinweg vertan hätten:
    http://www.bild.de/BILD/news/2010/09/07/deutsche-in-australien-ueberfallen/touristin-opfer-eines-sex-ueberfalls.html
    Aber Du bist ja ganz safe im australischen Busch, 100e Kilometer von der Zivilisation entfernt, in einem vor Großwild schützenden Zelt, was soll da schon passieren? Beste Grüße. PlautzeMC

    AntwortenLöschen