Freitag, 20. August 2010

BRIDGE CLIMB (I)

Es ist Zeit für ein kleines Bisschen Konfrontationstherapie.
Als Kind war ich vollkommen schwindelfrei und irgendwann, ich weiß nicht genau wann oder warum, reichte es schon aus mir sehr plastisch von Höhenerlebnissen zu berichten, um mir Pudding in die Knie zu pumpen. Akrophobie oder Höhenangst ist wohl mit eine der verbreitetsten Ängste, mit denen sich der Mensch plagt. Es gibt verschiedene Ansätze mit dieser Einschränkung umzugehen und der einfachste und beliebteste ist verrmutlich, sich schlicht in Bodennähe aufzuhalten. Der Nachteil an dieser Methode ist, dass man sich damit selbst um die Möglichkeit bringt, gewisse Dinge aus einer anderen, vergleichsweise ungewohnten Perspektive zu betrachten, sozusagen einen Schritt vom Gemälde der eigenen und immer ähnlichen Sicht zurückzutreten, um sich einmal einen kleinen Überblick aus der erhöhten Distanz zu verschaffen. 
Generell seltsam an der Akrophobie finde ich, dass sie ab einer bestimmten Höhe ihren Schrecken vollkommen zu verlieren scheint, weil die Tiefe, die einen schwindelig werden lässt, mit Überschreiten dieser Grenze nicht mehr visuell noch geistig zu erfassen ist. Die Höhe selbst wird von diesem Punkt an zu einem unfassbaren Abstraktum und was nicht erfassbar ist, senkt unweigerlich einen Schlagbaum irgendwo auf der Straße zwischen Denken und Fühlen. Wo oder wann genau diese Höhe erreicht ist, variiert wahrscheinlich individuell von Akrophobiker zu Akrophobiker.
Natürlich kann man hierzu argumentieren: Ich muss gewiss nicht selbst auf einem Satelliten sitzen, um die Welt von oben betrachten zu können, denn genau dafür gibt es schließlich Satelliten – Sie liefern mir die Bilder von dort oben. Es besteht also nüchtern betrachtet kein Grund mehr, eigens in diese Höhe aufzusteigen und selbst nachzuschauen, wie es da aussieht.
Klares Gegenargument: Das ist nur ein Zweite-Hand-Erlebnis. 
Nachdem man die ersten Hunde/Schweine/Affen erfolgreich auf ballistische Flüge ins All geschossen hatte und davon einige sogar unversehrt wieder zur Erde zurückgekehrt waren, kam unter den rein technischen Pionieren der Raumfahrt eine Diskussion um die Zweckmäßigkeit eines von Menschen gesteuerten Raumschiffs auf: "Wozu? Wir können alle notwendigen Manöver von der Erde aus steuern. Wir brauchen dazu keinen Menschen vor Ort." Was sie eigentlich meinten war, dass Vor-Ort-Piloten sogar eher einen Unsicherheitsfaktor darstellen könnten und hatten damit aus rein technischer Sicht in vieflältiger Weise auch vollkommen recht – 1:0 für die Technik.
Weniger technisch orientierte Menschen beteiligten sich an der Diskussion, indem sie nur ein einziges Gewicht in die andere Waagschale legten: "Nun", begannen sie (und sie beginnen fast immer mit "Nun" und dieses "Nun" ist für Techniker fast immer ein Graus), "dann wird es aber auch nie jemanden geben, der davon berichten kann, wie es WIRKLICH gewesen ist." Mit dieser Bemerkung wurde die Waagschale der weniger technisch orientierten Menschen derart schwerwiegend, dass sie alle anderen Ansichten schlicht aus dem Waagesystem katapultierte.

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Ich selbst sehe mich für das was ich tue oder bleiben lasse als Ingenieur, Mission Control, Bodenpersonal, Raumschiff und Astronaut in Personalunion. Selbstverständlichkeit? Womöglich sollte es das sein. Ich kann aber nur für mich selbst sprechen.
Nicht immer arbeiten Techniker und Nicht-Techniker all dieser Systeme reibungslos Hand in Hand und wenn es auf Grund gewisser Unausgeglichenheiten der Einzelabteilungen zu Unfällen kommt, spüre ich das natürlich sehr deutlich. Trial & error. Manchmal lerne ich daraus, manchmal bin ich zum Fürchten unbelehrbar und manchmal... ja manchmal gibt es Dinge, bei denen sich alle Systeme mit einem Schlag aber auch sowas von einig sind, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als etwas zu unternehmen, das meiner mir zutiefst innewohnenden Bequemlichkeit vollkommen zuwider läuft. Und dabei bin ich doch so ein unheimlich bequemer Mensch.
Spät erlernte Akrophobie – und in diesem Punkt waren sich alle angesprochenen Systeme mehr als nur einig – ist Mist... braune Stinkeschokolade... sogar noch unnützer als kein Kropf... ein Pfurz in der Stinkbombenfabrik... Uran235 im Marmorkuchen... Idi Amin als UNICEF-Botschafter... Piratenclownbusfahrer...
Ich denke, der Punkt müsste klar geworden sein: So nicht! Basta.

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Mir ist eigentlich völlig klar was ich vorhabe und doch überlege ich auf dem Weg in die Cumberland Street 3 vielleicht statt des geplanten BridgeClimbs doch nur ein Ticket für die Oper zu kaufen. Schließlich läuft mir die verdammte Brücke nicht davon. Der Fußweg vom Hotel in Cinatown bis zur Harbour Bridge oder zur Oper ist auf rund anderthalb Kilometern ein und der selbe. Bis ich von der George Street an der Ecke Alfred Street angekommen bin, kann ich mich also noch immer umentscheiden. Heute gabs mal kein Schächtelchen-Frühstück. Ich nehme unterwegs ein eickinental breakfast ein – Cola 0,3 Liter, gekühlt aber ohne Eis und bin eigentlich nur guter Dinge. Kühl ist es und der Wind hat seit gestern etwas aufgefrischt, nichtsdestotrotz ist der Himmel blau, die Sonne scheint und es sind wie immer hunderte von SydneyerInnen auf der George Street unterwegs, ich höre meine iPod-Musik auf dem Weg und mache mir nicht die geringsten Sorgen über Akro- oder sonstige Phobien und noch bevor ich 'Cumberlandsauce' denken kann, steige ich auch schon die Argyle Stairs hinauf zur Cumberland Street und der Dingsbums soll mich holen, ich habe immer noch nicht die Hosen voll.
Im Foyer der BridgeClimb company ist nicht allzu viel los.
Ich komme nach nur kurzer Wartezeit an die Kasse, erkundige mich nach der nächsten Tour und bereite mich im Geist darauf vor, eine Wartenummer zu bekommen und in einem der umliegenden Restaurants noch einen Kakao zu trinken, bevor es losgeht.
"Starts in three minutes", informiert man mich. Unerwartet aber prima, denn warten ist mir zuwider. Man fragt mich noch nach gesundheitlichen Gebrechen und ob ich eventuell Alkohol getrunken hätte (Antwort: keine und nein), dann klärt man mich noch auf, dass der Kaufpreis für das Ticket – sobald bezahlt nicht mehr erstattet wird, selbst wenn ich mir gleich in die Hosen mache und beschließe, dann doch nicht auf die Brücke zu klettern. Okidoki.
Mit einer Gruppe von sechs anderen Besuchern werde ich in einen weiteren Raum geführt, in dem uns Amy, eine attraktive Brünette, die wahrscheinlich noch besser aussähe, wenn sie nicht diesen albernen Strampelanzug anhätte, den wir Besucher auch gleich anziehen müssen, nochmals über die Dos und Donts der Brückenbegehung aufklärt: Man darf eigentlich nichts mit sich führen, außer seiner Unterwäsche und Schuhe. Während dieser Belehrung füllt man ein Formular aus, in dem man nochmals schriftlich versichert, dass körperlich alles fein ist und man nicht in Spasmen zuckend versucht Suizid zu begehen. Amy hat ihren Text schon hunderte Male abgespult und das merkt man ihr auch an. Ihre Freundlichkeit ist zwar nicht echt, aber immerhin, sie zieht ihren Job routiniert und professionell durch. Dazu gehört, dass sie die Gruppe zu einer Vorstellungsrunde animiert. Einander fremde Menschen stehen im Kreis und sollen erzählen, wer sie sind, woher sie kommen und warum sie die Brücke erklettern möchten.
Machen wirs kurz: Eine dreiköpfige Familie aus Kalifornien (Papa, Mama, Tochter) und noch eine dreiköpfige Familie aus der französischen Schweiz (Papa, Tochter, Tochter) naja, und ich eben. Warum wollten diese Menschen die Brücke erklimmen? Ich habe keine Ahnung mehr und es war mir ehrlich gesagt auch pupsegal. Tenor war in etwa: "That's the thing to do in Sydney!" Was soll man in so einer gezwungenen Speed-Kennenlernrunde auch großartig erzählen? Ich brabbele irgendeinen ähnlichen Quark daher und hoffe nur, dass es endlich losgeht. Nächster Raum, Umkleidekabinen. Raus aus den Klamotten und rein in den Strampelanzug, persönliche Habe in einem Schließfach verstauen, durch den Metalldetektor gehen (!!!) – man hat wohl wirklich Sorge, jemand könnte seinen eigenen Fotoapparat einschleusen und also nachher nicht die Fotos kaufen, die der Guide geschossen hat – und dann sind wir die hübsche aber kalte Amy zum Glück los.
Auftritt Alex, die vermutlich ungekürzt Alexandra heißt und unsere Gruppe über die Brücke führen wird. Alex ist ungefähr 1,60 groß, ziemlich schmal, unbedingt burschikos und erinnert mich, wenn es auch sonst keine äußerlichen Ähnlichkeiten gibt, vom Habitus an eine Exfreundin aus Zeiten, die schon fast nicht mehr wahr sind. Tanna Verzeihung, Alex hat sofort meine Sympathie gewonnen. Die Sprüche mit denen sie die Gruppe unterhält wie auch anleitet sind zwar auswendig gelernt, aber Alex erscheint dabei niemals unecht und hey, sie macht das hier nicht zum Vergnügen, sondern das ist ihr Job. Ich Esel habe noch nicht einmal ein Foto von Alex gemacht....
(to be continued)

3 Kommentare:

  1. Ui, war wohl durchaus physisch anspruchsvoll die Kraxelei. d;.p

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  2. Verdammtes Google!

    Photographieren alles und jeden und dann zerpixeln sie die Grenzexistenzen ;-)

    Ain't no Bridge high enough.

    Cheers, Hike.

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  3. Fesch, fesch! Und sieht ja mal so gar nicht nach Hosen voll aus.

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